Legal Innovation Talk #1 von recode.law in Münster

Machine Learning & Recht – Recap Legal Innovation Talk #1

Nachdem im Januar bereits unser Kick Off-Event großen Anklang gefunden hatte, ging am 08.05.2019 der Legal Innovation Talk in die erste Runde. Thema des Abends war Künstliche Intelligenz im Recht. Rund 80 Gäste hatten sich aus diesem Anlass im großen Gerichtssaal des Heereman‘schen Hofs in Münster versammelt, der bis auf den letzten Platz besetzt war. Der historisch bedeutsame Renaissancebau, der als alter Adelshof auf das 16. Jahrhundert zurückgeht, bot eine beeindruckende Kulisse für einen interdisziplinären Blick auf die Zukunft des Rechts.

Erster Speaker war Marcus Cramer, Head of Analytics beim Westphalia Datalab und selbst Mitglied bei recode.law. Er gab uns eine Einführung in das Thema Artificial Intelligence und Machine Learning. Zunächst ging es um die Frage, wie man KI überhaupt definieren könnte und welche philosophischen Fragestellungen sich dahinter verbergen. Marcus erläuterte dabei nicht nur die traditionelle Unterscheidung zwischen schwacher und starker KI, sondern stellte auch die wesentlichen Meilensteine in der Entwicklung dieser Technologie dar. Dabei wies er auf das Phänomen hin, dass mit zunehmendem Fortschritt immer mehr Bereiche der schwachen KI zugeordnet würden, die vor ihrer Realisierung noch als starke KI gehandelt worden seien.

Anschließend erläuterte Marcus die Funktionsweise eines Entscheidungsbaums anhand eines juristischen Beispiels. Ausgangspunkt hierfür war ein Datensatz über die Hinrichtung von Häftlingen in den USA. Dieser enthielt verschiedenste Informationen über die Personen selbst und darüber, ob sie den ihnen zustehenden Rechtsweg erschöpft hatten oder nicht. Anhand dieser Daten galt es, einen Decision Tree zu entwickeln, der möglichst akkurate Vorhersagen über die zu erwartende Rechtswegerschöpfung zukünftiger Häftlinge treffen sollte. Anschließend schilderte Marcus weitere Anwendungsbeispiele von KI in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen. Dies führte zu der Frage, welche Berufe zukünftig durch KI ersetzt werden könnten. Bei juristischen Tätigkeiten ergab sich diesbezüglich ein geteiltes Bild.

Insgesamt hat es Marcus geschafft, die komplexe Thematik der KI auf ihre Grundzüge zu konzentrieren und auch Zuhörern ohne besondere technische Vorkenntnisse näher zu bringen. So schuf er eine ideale Diskussionsgrundlage für die anstehende Pause. Bei Bagels von Teilchen & Beschleuniger und Getränken von der Finne Brauerei diskutierte das bunt gemischte Publikum angeregt über den ersten Vortrag des Abends.

Nach der Pause ging es weiter mit der Präsentation von Tianyu Yuan. Er ist Founder und Executive Director von LEX superior und berichtete uns aus erster Hand über die praktischen Anwendungsmöglichkeiten von Machine Learning im Rechtswesen. Zunächst nutzte Tianyu aber die Gelegenheit, um die Zuhörer über den Einsatz von Technologie im Jurastudium zu befragen. Anschließend wandte er sich dem Machine Learning aus juristischer Perspektive zu. Tianyu argumentierte, dass selbst bei einer Automatisierung der juristischen Entscheidungsfindung die Erfassung des Sachverhalts nach wie vor eine rechtliche Wertung verlange. Ohne Subsumtion existiere schlicht kein Sachverhalt. Zudem problematisierte er, dass die Rechtsfindung eben nicht immer logisch sei.

Um die Komplexität juristischer Subsumtion zu verdeutlichen, zeigte Tianyu die Schwierigkeiten auf, die bereits bei vermeintlich einfachen Rechtsbegriffen wie „Körperverletzung“ oder „Sache“ auftreten. Eine Automatisierung der Subsumtion durch Machine Learning in Form von supervised, unsupervised oder reinforcement learning sei zwar bis zu einem gewissen Grad möglich, aber mit einem extrem hohen Aufwand verbunden. Zudem müsste ein solches System laufend aktualisiert werden. Ein weiteres Problem sah Tianyu in der potenziell diskriminierenden Wirkung von KI, dem sog. algorithm bias. Hier müsse man sich zwangsläufig die Frage stellen, ob man wirklich sämtliche Entscheidungen den Algorithmen überlassen möchte.

Nach dieser rechtlichen Perspektive folgte eine gemeinsame Diskussion von Marcus und Tianyu mit dem Publikum. Diese entwickelte sich in manchen Teilen sogar in ein richtiges Streitgespräch. Es ging insbesondere um Möglichkeiten, wie man zukünftig auch die Sachverhaltserfassung (z.B. nach einem Verkehrsunfall) mittels Sensoren automatisieren könnte. Zudem wurden die existierenden Prognosen bezüglich der Entwicklung einer starken KI kritisch hinterfragt.

Damit war der offizielle Teil des Abends beendet. Es folgte ein lockerer Austausch zwischen den Gästen über die zuvor aufgeworfenen Probleme. So diskutierten die anwesenden Juristen, Informatiker und weiteren Interessierten noch bis in die späten Abendstunden über die Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz für das Rechtswesen. Dieser interdisziplinäre Austausch hat uns nachhaltig beeindruckt.

Unser besonderer Dank gilt an dieser Stelle unseren Sponsoren Noerr und Baker McKenzie, die auch an diesem Abend mit mehreren Anwälten vor Ort mit diskutiert haben. Und schließlich bedanken wir uns bei den beiden hervorragenden Speakern Marcus und Tianyu. Wir freuen uns über die zahlreichen Themenvorschläge für zukünftige Veranstaltungen und arbeiten bereits fleißig an deren Umsetzung. Das durchweg positive Feedback bestärkt uns auf diesem Weg!

Text: Leonhard Weitz

Last Updated on 11. Mai 2021