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Was wir aus dem #WirVsVirus-Hackathon gelernt haben

Über 40.000 Bundesbürger werden über ein Wochenende in einen Slack-Workspace geschmissen und raus kommen Lösungen, die uns über die Corona-Krise helfen sollen. Und das komplett online. Wie kann das funktionieren? recode.law war dabei und berichtet.

Vorweg: Was habt ihr entwickelt? Gebt uns einen kurzen Elevator-Pitch!

Durch die Corona-Krise geraten vor allem kleine und mittlere Unternehmen in finanzielle Not. Unterstützende Maßnahmen wie Soforthilfe, Kredite oder Steuerstundungen gibt es nicht nur unübersichtlich viele, sie unterscheiden sich zudem in ihren Voraussetzungen und den Antragsverfahren: Kommt eine Maßnahme für mich überhaupt in Frage? An wen muss ich den Antrag richten? Welche Unterlagen brauche ich dafür? Diese Fragen stellen für viele Unternehmer eine bürokratische Hürde dar, sodass sie die dringend benötigte Unterstützung nicht oder nur umständlich abrufen können.

liquidebleiben.com löst dieses Problem: Interessenten beantworten über eine benutzerfreundliche Oberfläche einfache Fragen und bekommen im Anschluss alle in Frage kommenden Maßnahmen samt den nötigen Infos dargestellt. So bringen wir staatliche Soforthilfen auch wirklich bis zum Tanzstudio.

Ihr wurdet mit 40.000 anderen in einen Slack-Workspace geschmissen. Das muss zu Beginn ein großes Chaos gewesen sein. Wie habt ihr euch orientiert und letztlich euer Projekt gefunden?

Fréderic: Zunächst gar nicht, denn Slack war völlig überlastet. Valentin hat seinen Zugang zum Beispiel erst Samstagmittag erhalten; mehr als einen halben Tag nachdem der Hackathon begann. Im Chaos fanden sich jedenfalls mit der Zeit kleine Teams. Auch innerhalb der Teams herrschte allerdings zunächst großes Chaos.

Die Teilnehmer haben tatsächlich Führung gesucht. Hat man das geboten, einen strukturierten Plan gehabt, haben die Leute sofort mitgemacht. Das konnte man entweder zeigen, indem man in den großen, allgemeinen Channeln, in denen alle waren, konkrete Anfragen für seine Vorhaben gestellt hat. Oder man zeigt – so fand Valentin zu uns – in seinem Team-Channel eine strukturierte Arbeit. Das zog Personen an, die noch auf der Suche nach einem passenden Projekt durch die Team-Channel zappten.

Valentin: Da ich erst Samstagmittag meinen Slack-Zugang erhalten habe, bin ich recht spät dazugestoßen und musste aus bestehenden Teams wählen. Ich habe mich aber im vorhinein informiert, welche Challenges es beim Hackathon so zu lösen gab. Ich wusste also  grob, was mich ansprach und bin dann einfach anonym einer laufenden Videokonferenz des Teams beigetreten, das ich zufällig bei Slack gefunden habe. Dort hatte eine Person ganz klar den Hut auf und es wirkte für mich, als ob hier organisiert gute Arbeit geleistet wird. Damit habe ich mein Team gefunden.

Wie wurden die Aufgaben aufgeteilt und zu einem großen Ganzen zusammengefügt?

Valentin: Die Person, die in der Videokonferenz “den Hut auf hatte”, war der Pate unserer Challenge. Das heißt, er hat die Challenge beim Hackathon eingereicht. Obwohl es keine Regel gab, die vorschrieb, dass der Einreichende auch der “Chef” ist, hatte er damit quasi eine originäre Zuständigkeit für das Projektmanagement. Dieses führte er auch faktisch aus.

Fréderic: Die Teammitglieder fanden sich selbst in die Spezialteams für Data, Tech, Law und Marketing ein, indem sie den entsprechenden Subchannels beitraten. So sortierten sich die verschiedenen Kompetenzen jeweils ganz alleine zu kleinen Unterteams. Fehlende Kompetenzen deckten wir immer, wenn unsere Kapazitäten knapp wurden, durch Aufruf in einem Channel für “Stellenausschreibungen” ab. Es ist erstaunlich, wie schnell sich immer wieder genau die richtigen Leute für die Aufgaben fanden.

Gab es kontroverse Entscheidungen? Wie wurde dann entschieden? Demokratisch? Eine verbindliche Hierarchie, wo die Entscheidungskompetenz klar zugewiesen ist, gab es ja nicht.

Fréderic: Unterschiedlich. Es gab Entscheidungen, bei denen die Teammitglieder demokratisch durch Daumen-Emojis für ein Ergebnis abstimmten. Bei anderen setzten sich nach kurzer Diskussion aber auch dominante Personen durch. So kamen wir dann auch zu unserer Brand-Farbe: “Das dominante Grün der Liquidität!”

Valentin: Rückblickend denke ich, dass ich mich teilweise so verhielt, als gäbe es eine verbindliche Hierarchie. So richtete ich Vorschläge direkt an den Paten der Challenge, um seine Entscheidung dazu einzuholen, statt sie öffentlich zur Diskussion zu stellen. Man nimmt diese Entscheidungskompetenz dann einfach so an. Auch wenn man zunächst eine initiale Abwehrreaktion hat, warum denn einer der Chef sein solle, so ist es ja doch das, was mich dem Team überhaupt beitreten ließ.

Wie bildete sich eigentlich heraus, wer zum Team gehört und wer nicht, wo doch alle Channel öffentlich waren und jederzeit andere beitreten konnten?

Fréderic: Es wurde eine Liste in den Channel gepostet, in der man sich bis um 12 Uhr am Samstag eintragen konnte, wollte man zu dem Team gehören. Damit war es relativ klar. Interessant daran ist, dass sich auch nach der Deadline prinzipiell noch jeder hätte eintragen und Teammitglied werden können. Das Symbol der Liste bildete dabei aber eine psychologische Eintrittsbarriere, die das gesamte Team letztlich nach außen abschloss.

Valentin: Als ich – nach 12 Uhr – dazustoßen wollte und beim Paten der Challenge angefragt habe, sagte er mir auch, dass sie eigentlich schon “voll seien”, aber ich noch beim Marketing mitmachen könne. Wäre ich ein paar Stunden später gekommen, hätte ich vielleicht gar nicht mehr mitmachen dürfen. Bemerkenswert ist auch, wie diese Liste nicht nur das Team nach außen abgrenzt, sondern gleichzeitig innen auch mehr Leistung einfordern kann: “Du bist Teammitglied, dann arbeite mit.”

Was habt ihr beim Hackathon gelernt, was ihr nun auf eure weitere Arbeit anwenden werdet?

Fréderic: Erstmal, dass man mit der Öffentlichkeitsarbeit nicht früh genug anfangen kann. Dadurch haben wir beispielsweise noch um 23:00 Uhr am Freitagabend einen Senior Legal Counsel der KfW im Schlafanzug in einen Call bekommen, der uns bestimmte Prozesse erläuterte. Weiterhin ist gar nicht zu unterschätzen, wie kooperativ und offen die Leute da draußen sind, obwohl man ja eigentlich davon ausgeht, sie seien eher kompetitiv. Zuletzt: Remote Arbeiten funktioniert; sogar mit völlig Fremden. Die Vorstellungsrunde haben wir dann übrigens erst nach der Abgabe ganz zum Schluss gemacht. Man merkte, wie das Team in nur 48 Stunden eng zusammengewachsen ist.

Valentin: Das war mein erster Hackathon,ich habe das Format also noch nicht selbst erlebt. Gefallen hat mir, dass man unter hohem Zeitdruck arbeiten muss und dadurch gezwungen wird, einfach irgendetwas abzuliefern. Da hat man keine Zeit ewig zu sinnieren oder einen Feinschliff zu machen, bevor das große Ganze steht. Zwei Teams mit ähnlichen Projekten haben beispielsweise sehr auf Design gesetzt, hatten am Ende aber kein funktionsfähiges Produkt. Bei uns ist es umgekehrt. Aber es wird sich am Ende eher einer hinsetzen und das Produkt aufhübschen, als eine große Datenbank anzulegen und erst die Funktionalität zu programmieren.

Was können Juristen aus einem solchen Hackathon lernen?

Fréderic: Der Gedanke hinter dem MVP (Minimum Viable Product) ist ja kein neuer. Beim Hackathon wird er aber par excellence eingefordert: Der erste Entwurf muss nicht perfekt sein. Das gilt eben auch für Juristen. Ein erster, nicht perfekter Entwurf ist oft wertvoll, um festzustellen, ob man mit dem Produkt in die richtige Richtung steuert. Die Feinarbeit kann dann auch noch hinterher erfolgen. Zu dem Prozess gehört auch, seine Kollegen möglichst früh einzuschalten, die nochmal einen anderen Blick auf die Sache haben, und frühzeitig korrigieren können: Kollaboratives Arbeiten ist oft effizienter!

Valentin: Auch das Mindset hat seinen Charme. Ein Jurist denkt sehr strukturiert, ein Hackathon ist genau das Gegenteil: Es ist das reinste Chaos. Und trotzdem entsteht am Ende ein gutes Ergebnis. Auch sollte man als Jurist öfter seine Bubble verlassen. Bei einem Hackathon arbeitet man mit klugen Köpfen aus völlig verschiedenen Fachrichtungen und Altersklassen zusammen. Ich war mit 20 das jüngste Teammitglied, das älteste war 52. Wir waren Jurastudenten, andere waren Ex-Investmentbanker, IT-Projektleiter internationaler Pharmakonzerne oder gelehrte Physiker. Das fördert die interdisziplinären Kompetenzen ungemein.

Wie geht es jetzt weiter?

In den letzten 24 Stunden haben wir viel positive Resonanz erhalten. Die ersten Banken haben angefangen, unsere Plattform ihren Kunden zu empfehlen und ein paar Unternehmen zeigten sich interessiert, unser Tool zu implementieren. Fest steht, dass das KI-Steuersoftware-Startup taxy.io unsere Plattform fortführen und im Austausch mit unserem Team weiterentwickeln wird. Die Plattform soll aber auf jeden Fall kostenlos und der Code nach Open-Source-Lizenz frei verfügbar bleiben bleiben.

Wir als Team haben uns auf jeden Fall committed, dran zu bleiben!

Das Interview führte und verfasste Paul F. Welter, Examenskandidat in Köln und Vorstandsmitglied bei recode.law.

Last Updated on 13. Februar 2021

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