Digital Justice Summit 2024 – Wie digital ist die Justiz? Und wie wird sie noch digitaler?

In der vergangenen Woche fand der Digital Justice Summit am 25. und 26. November in Berlin im Hotel de Rome statt und brachte dabei Jurist:innen und Nichtjurist:innen aus Ministerien, Rechtsberatung, Justiz, Wissenschaft und der Digitalwirtschaft zusammen. In Vorträgen und Podiumsdiskussionen gaben die verschiedenen Akteur:innen Einblicke und Ausblicke hinsichtlich der Modernisierung des Rechtssystems, Automatisierungsprozesse in der Justiz und (mögliche) Veränderungen durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. 

 

Wir waren beide Tage auf der Messe und haben einen Nachbericht verfasst, um mit euch unsere Eindrücke zu teilen, was inhaltlich auf dem Digital Justice Summit besprochen wurde. 

 

  1. Pre-Event

Der DJS begann mit einem exklusiven Pre-Event zum Thema „Justice Operation meets Legal Design: Wie gestaltet man Innovationen mit Mehrwert für die Justiz?“.

Hier erarbeiteten Expert:innen aus Wirtschaft und Justizpraxis gemeinsam, was die Justiz braucht, woran Innovationen scheitern und welche Rolle Legal Design spielt.

 

Dr. Bernhard Waltl eröffnete das Pre-Event mit einer anschaulichen Einführung in das Konzept der Justice Operations. Als Informatiker, der eng mit Jurist:innen zusammenarbeitet, betonte er, wie wichtig in der Digitalisierung der Justiz die Themen Interdisziplinarität und offene Zusammenarbeit sind. Seiner Meinung nach brauche es gerade in den Rechtsabteilungen designierte Stellen für Informatiker. Zudem müssten alle Disziplinen auf die Zusammenarbeit abgestimmt sein, was mit Zugeständnissen einhergehe. Als Lösung stellte er den anzustrebenden ganzheitlichen Ansatz “Legal Operations North Star” vor. Dieser setzt sich aus den Komponenten “Technology”, “People” und “Processes” zusammen, wobei gerade „People“ den entscheidenden Faktor für die Implementierung von IT-Lösungen darstellen soll.

 

An diesem Punkt knüpft auch Astrid Kohlmeier mit ihren Legal Design-Projekten an. Es brauche Design Thinking im Rechtswesen, um durch Verständlichkeit und Intuitivität von IT-Lösungen Akzeptanz und Funktionsfähigkeit im Justizalltag sicherzustellen. Sie erläuterte die Legal Design-Methodik, die darauf abzielt, zunächst die bestehenden Prozesse zu verstehen, konkrete Probleme bzw. Handlungsbedarfe zu analysieren und die Verwendung geplanter IT-Lösungen aus Sicht der Anwender zu betrachten.

 

Auch die Vertreterinnen aus der Justiz, Stefanie Otte und Isabelle Biallaß, stimmten Dr. Waltl und Kohlmeier zu, gaben aber auch zu Bedenken: „Wir müssen aufpassen, nicht vorschnell elektronische Lösungen zu implementieren, die nicht durchdacht sind“. Der Fokus müsse auf der konkreten Optimierung von Arbeitsabläufen liegen. 

 

Im Weiteren hob Stefanie Otte hervor, wie wichtig es sei, auf die bereits erreichten Erfolge der Digitalisierung in der deutschen Justiz hinzuweisen. Es existieren bereits KI-Tools zur Optimierung von Arbeitsabläufen, wie Olga, Frauke und Jano. Auch Projekte wie das Basisdokument, das Projekt Zugang zum Recht würden bereits große Fortschritte zeigen. Diese Projekte in der Justiz gibt es zum Teil schon seit Jahren. 

 

Dabei betonte sie, dass im Vergleich mit anderen Bereichen der Verwaltung die Justiz in der Digitalisierung schon weit fortgeschritten sei, und in den meisten Fällen auch das Mindset stimme. In der Justiz herrsche eine grundlegende Offenheit gegenüber Digitalisierungsinitiativen. Dort, wo Widerstand auftrete, sei dieser meist im Frust über fehlende Ressourcen begründet. Sie kritisierte, dass bestehende Lösungen aufgrund unzureichender technischer Infrastruktur oft nicht optimal funktionieren würden, was Arbeitsabläufe eher lähme als fördere. Als Fazit zog sie, dass es bereits gute Strukturen und innovative Projekte gebe, die jedoch konsequenter gefördert und umgesetzt werden müssen. Dies sei auch ein Appell an den Haushaltsgesetzgeber: Justiz müsse handlungsfähig bleiben, und dies sei ohne eine funktionierende Digitalisierung nicht möglich. Insbesondere sei eine Gesamtstrategie notwendig, an der sich alle Akteure orientieren können. Das aktuelle EFA-Prinzip („Einer für alle“) sei grundsätzlich eine gute Idee, um mit Pilotprojekten Innovation zu fördern. Es werde jedoch schwierig, wenn jeder Akteur individuelle Wege beschreitet.

 

Es wurde darüber hinaus auf die große Diskrepanz zwischen Erwartungshaltung und Umsetzbarkeit hingewiesen. Wo ein offenes Mindset vorherrsche, sei dies oft mit der Hoffnung verbunden, ungeliebte Arbeitsabläufe vollständig zu ersetzen – was in vielen Fällen jedoch nicht möglich sei. Hier müsse verstärkt auf Partizipation und klare Kommunikation von Erwartungshaltungen und Möglichkeiten gesetzt werden.

 

Nachdem verdeutlicht wurde, wie viel bereits durch Digitalisierung möglich ist, stellte sich zum Schluss der Diskussion die Frage, welche Bereiche sich nicht ins Digitale übertragen lassen oder was auch in einer stärker digitalisierten Justiz erhalten bleiben muss. Von den Diskussionsteilnehmern wurde besonders der Wert der Sicherung des Rechtsstaats betont. Rechtspflege dürfe nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten stattfinden. Es werde immer Bereiche geben, die nicht gekürzt werden dürfen, und Vorgänge, die für die Umsetzung der Prozessmaximen unerlässlich sind. Insbesondere sei die Unabhängigkeit der Justiz ein hohes Gut. Zudem wurde aus den Erfahrungen mit der Digitalisierung in der Wirtschaft insbesondere der Schluss gezogen, dass die Nachhaltigkeit des Innovationsgedankens wichtig sei. Akteure müssten es mit der Digitalisierung ernst meinen und nicht nur vereinzelt ein bisschen hier und da digitalisieren und damit bloßes „Innovationstheater“ spielen.

 

Unser Fazit: Es ist im Besonderen wichtig, nicht einfach nur die Ansicht “deutsche Gerichte können und wollen keine Digitalisierung” zu verstärken. Es gibt neben vielen Fortschritten in der Digitalisierung und einigen Projekten gerade auch viele Menschen, die mit einem positiven Mindset an die Digitalisierung gehen und diese unterstützen. Hier ist es vornehmlich eine Frage von finanziellen und Personalressourcen. Außerdem wird Legal Design in der weiteren Justizdigitalisierung eine große Rolle spielen. Der Erfolg von digitalen Instrumenten hängt auch maßgeblich davon ab, wie gut diese nicht nur innerhalb der Justiz sondern auch von Bürger:innen als Nutzenden angenommen werden.  

 

  1. Willkommenskongress: Europa und Deutschland im digitalen Wandel – Welche neuen Impulse brauchen Recht und Justiz?

 

Der Willkommenskongress wurde von Oliver Lorenz, dem Gesamtprojektleiter des Kongresses eröffnet und sodann von der Kongresspräsidentin Brigitte Zypries moderiert. Inhaltlich ging es um den aktuellen Stand der Justizdigitalisierung und welche neuen Impulse jetzt notwendig sind.

 

Um dies herauszufinden, wurden zu Beginn insbesondere die Probleme der übermäßigen Komplexität und Bürokratie angesprochen und gleichzeitig die Grundvoraussetzung genannt, die Justiz müsse unabhängig, innovativ und belastbar sein. Es brauche Veränderungen jetzt, denn es bestehe die Möglichkeit, wieder Vorreiter zu werden – mit einer Technologie, die endlich wieder state of the art sei. Gleichzeitig steht die Justiz mit steigenden Verfahrensdauern und fortschreitendem demographischen Wandel, der gefürchteten “Pensionswelle”, unter Druck. Auch hier kann technologischer Fortschritt helfen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde zu offener Kommunikation unter den Teilnehmenden des Summits aufgerufen: „Der DJS soll Brücken bauen“ – zwischen Justiz, Digitalwirtschaft und Technologie.

 

 

Die Merkmale einer Justiz, die dem “state of the art” entsprechen würde, seien Effizienz und eine bessere Schwerpunktsetzung in der juristischen Sachbearbeitung. Jurist:innen sollten sich mit juristischen Aufgaben und nicht mit Copy-Paste-Vorgängen beschäftigen. Dafür seien Anwendungen erforderlich, die speziell auf das juristische Feld zugeschnitten sind.

 

Während der Diskussion wurde auch die europäische Regelungsebene angesprochen. Zur KI-Verordnung und Digitalisierungsverordnung habe die Kommission ein breites Arbeitsprogramm aufgestellt, um die Digitalisierung der Justiz weiter voranzubringen. Dr. Dirk Staudenmayer von der Europäischen Kommission brachte in diesem Zuge die innovative Idee eines “European Legal Data Space” im Rahmen einer europäischen Datenstrategie ein. In diesem könnten Justizdaten der European Legal Tech-Industrie zur Verfügung gestellt werden.

 

Dann kamen die Diskussionsteilnehmenden auf die Digitalisierung der deutschen Justiz zurück: Als einen der wichtigsten Faktoren für diese nannte Dr. Günter Krings das Vertrauen, insbesondere das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat. Der digitale Fortschritt sei auf die Akzeptanz der Nutzer innerhalb der Justiz sowie unter den Bürgern angewiesen. Zudem müsse weiterhin darauf geachtet werden, dass sich die Digitalisierung der Justiz aus mehr als nur der reinen Elektrifizierung des analogen Rechtsverkehrs zusammensetzt. Hier würde insbesondere die technologische Entwicklung parallel zur Gesetzgebung eine große Rolle spielen, wie beispielsweise durch die Experimentierklauseln im Entwurf zum zivilgerichtlichen Online-Verfahren vorgesehen.

 

Diesbezüglich stellte sich die Frage nach der Zukunft des Regierungsentwurfs, der aktuell im Vermittlungsausschuss steckt. Auch wenn davon auszugehen ist, dass der aktuelle Entwurf aufgrund des Diskontinuitätsgrundsatzes nicht durchgehen wird, geht eine überwiegende Mehrheit davon aus, dass zumindest die Inhalte des Entwurfs in einem neuen Gesetzgebungsvorhaben übernommen werden.

 

Zum Schluss betonte Prof. Dr. Jens Bormann von der Bundesnotarkammer ebenfalls, was bereits im Pre-Event festgestellt wurde. „Wir haben eigentlich schon alles”, erklärte er, nicht nur bezogen auf die bestehenden Digitalisierungsprojekte, sondern auch auf den Status quo der Justizdigitalisierung. Er warnte davor, die deutsche Justiz immer nur schlecht zu reden. Bereits jetzt würden eine 24/7-Online-Erreichbarkeit, ein funktionierender elektronischer Rechtsverkehr und zahlreiche Projekte, die darüber hinausgehen, bestehen. Als gutes Beispiel nannte er “XJustiz” für Strukturdaten, das seit Jahren existiert. Trotzdem gibt es immer noch weite Teile der Anwaltschaft, die es trotz geringem Aufwand nicht nutzen – und nicht einmal wissen, worum es bei den “XJustiz”-Strukturdaten geht.

 

Unser Fazit: Im Großen und Ganzen sind sich alle einig: Die Justiz ist auf einem guten Weg und hat spannende Projekte. Allerdings heißt dies auch gleichzeitig: Weitermachen – Die Pilotprojekte evaluieren und diese bei erfolgreicher Pilotphase flächendeckend einsetzen. Dabei müssen aber auch alle Jurist:innen – aus Justiz und Anwaltschaft mitgenommen werden. 

 

III. Hat der elektronische Rechtsverkehr eine Zukunft? Anforderungen an eine moderne Justizplattform

 

Dr. Philip Scholz eröffnete die Diskussion mit der These, dass die Möglichkeiten der Digitalisierung die des aktuellen elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) überschreiten. Anstatt am Versandparadigma und an PDF-Dokumenten festzuhalten, müsse mehr auf datenbasierte Kommunikation gesetzt werden. Um dies im Justizalltag auszuprobieren, verwies er auf das Instrument der Reallabore.

 

Dieser Beobachtung schloss sich Michael Henjes an: Eine reine Elektrifizierung von Papier entspräche nicht den heutigen Digitalisierungsmöglichkeiten. Der Status quo müsse sich, wie schon immer und wie auch die Umstände, weiterentwickeln. 

Entsprechende Änderungen müssten ihren Platz in den Prozessordnungen finden. Dabei schlug er vor, Plattformlösungen zu entwickeln, welche nicht nur Kommunikationsplattformen darstellen, sondern auch Arbeitsplattformen, die weitergehende Funktionen vereinen.

 

Innerhalb der Diskussion wird in diesem Zusammenhang eine bundesweite Lösung gefordert, die eine Harmonisierung von Fachverfahren und eAkten-Systemen beinhaltet. Dr. Christian Lemke betonte ebenfalls, dass es keine Insellösungen geben dürfe. Gleichzeitig erklärte er, dass der elektronische Rechtsverkehr weiterhin eine Zukunft habe und benötigt werde. Dies schließe aber nicht aus, dass zukunftsweisende Technologien eingeführt werden sollten. 

 

Jennifer Evers führte das Thema Plattformlösung weiter aus, indem sie die Verfahrensmanagement-Plattform (VMP) vorstellte. Diese profitiert von standardisierten Prozessen, Workflow-Management und einer sicheren Cloud-Lösung. Besonders wichtig sei es, die Anwender und alle Stakeholder in die Entwicklung einzubeziehen und adressatenbezogen zu denken.

 

Während ein weitgehender Konsens über die Notwendigkeit einer Plattformlösung besteht – besser gestern als heute – nahm Henning Schumacher hierzu eine kritischere Position ein.

Er hob hervor, dass die Justiz bereits weitaus mehr Fortschritte in der Digitalisierung gemacht habe als andere Verwaltungsbereiche. Zwar sei man sich einig, den Status quo weiterzuentwickeln, jedoch müsse genau geprüft werden, wofür die knappen Ressourcen eingesetzt werden sollten. Dort, wo etwas bereits funktioniere – wie der elektronische Rechtsverkehr –, müsse die Weiterentwicklung vielleicht nicht die oberste Priorität darstellen. Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, wo Ressourcen konkret gebraucht werden. Es ist genau zu analysieren, welches Problem gelöst werden soll und ob es überhaupt ein solches gibt. Für datenbasiertes Arbeiten sei nicht zwingend eine Plattformlösung erforderlich; dies könne auch mit Portallösungen erreicht werden.

 

Unser Fazit: Plattformlösungen werden in weiten Teilen als erstrebenswert angesehen und in Literatur und Praxis bereits seit Jahren gefordert. Für einsetzbare Funktionen gibt es ebenfalls einige Vorschläge und auch der Entwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit sieht diese vor. Natürlich muss mit Ressourcen vernünftig umgegangen werden und es sollte keine Digitalisierung bloß um der Digitalisierung selbst willen geben. Eine Plattformlösung ist jedoch ein weiterer notwendiger Schritt in der Digitalisierung der Justiz, genauso wie der weitere Ausbau der Nutzung datenbasierter Kommunikation, insb. Strukturdaten wie bei XJustiz. Hier ist auch gerade die Anwaltschaft gefragt. Genauso wie wir nicht bei Steintafeln stehen geblieben sind, sollten wir auch nicht beim PDF verharren.  

 

  1. Jura ohne Juristen: Gestaltung von Rechtssystemen auf der grünen Wiese / Law without Lawyers: Designing a Legal System from Scratch

 

In diesem Panel wurde die Frage diskutiert, wie eine Zukunftsjustiz ohne Juristen aussehen könnte. Moderiert wurde das Panel von Paul Welter, Mitglied des recode.law-Beirats. Dieser stellte fest: So merkwürdig sich dieses Szenario zunächst anhört, so wertvoll ist ein „Denken auf der grünen Wiese“, um offen darüber zu sprechen, was möglich sein könnte, und neue Blickwinkel auf die Digitalisierung der Justiz einzunehmen. Dabei bedeute ein neuer Blickwinkel natürlich nicht, dass in der Praxis jetzt Gesetze oder menschliche Richter bzw. generell Juristen abgeschafft werden sollen. Genau darauf ging auch Tom Brägelmann ein und äußerte Bedenken hinsichtlich des Ziels, menschliche Richter abzuschaffen. Er stellte die Frage: „Wem dient es, Juristen abzuschaffen?“. Wahrscheinlich genau denen, die den Gewährungen eines Rechtsstaates entgegenstehen und von einer nicht funktionsfähigen Justiz profitieren. Er fügte hinzu: Menschen würden sich streiten – nicht Maschinen. Und das Lösen menschlicher Konflikte sei eben auch eine menschliche Aufgabe. „Roborichter“ könnten zwar bestimmte Entscheidungen treffen, jedoch nicht solche, bei denen es auf menschliches Verständnis ankomme. Andererseits könne die vollständige Objektivität, die Menschen gerade nicht erreichen können, in der Streitbeilegung wünschenswert sein.

 

In der Diskussion wurde hervorgehoben, dass KI vor allem in der Sachbearbeitung eine Erleichterung bieten könnte. Insbesondere die Sachverhaltsermittlung könnte durch KI unterstützt werden, um Parteien im Rahmen des Beibringungsgrundsatzes zu entlasten – besonders solche, die nicht anwaltlich vertreten sind oder prozessual schwächer aufgestellt sind.

 

Ellen Lefley brachte die politische Verantwortung für eine funktionierende Justiz ein. Eine gerechte Justiz müsse ein bestmögliches Machtgleichgewicht zwischen den Parteien gewährleisten. Technologische Entwicklungen dürften nicht dazu führen, dass ressourcenstarke Parteien der Justiz oder anderen Parteien überlegen seien. Vielmehr sei es die Aufgabe, Waffengleichheit zu schaffen.

 

Katharina Sophie Hertel, Vorstandsmitglied bei recode.law, ergänzte abschließend: Selbst wenn alle justiziellen Gewährleistungen, Prozessmaximen und Verfassungsrechte wegfallen würden, würden sich auf der „grünen Wiese“ ähnliche Bedürfnisse herausbilden. Streitigkeiten würden früher oder später nach einer unabhängigen, entscheidenden Instanz verlangen. Das spräche möglicherweise gegen einen Roborichter, aber für eine leistungsfähigere Justiz durch den Einsatz von KI.

 

Unser Fazit: Eine spannende Diskussion, die in ihrer Offenheit häufiger geführt werden sollte. Nicht im Sinne der Abschaffung einer menschlichen Justiz, sondern für einen Perspektivwechsel. Um freier darüber nachdenken zu können, wie wir Technologie weiter implementieren können, welche Grundsätze zwingend geschützt werden müssen und wie uns weitere Digitalisierung dabei helfen könnte. Denn wenn die Verfahrensdauern weiter fortschreiten und sich der gerichtliche Weg für Verbraucher insbesondere bei geringen Streitwerten nicht mehr lohnt, kann eine effektivere, digitalisierte Streitbeilegung die Erfüllung justizieller Gewährleistungen verbessern. Es geht darum, die Vorteile von Künstlicher Intelligenz in unser Justizsystem zu integrieren, ohne dass die Menschen oder das Justizsystem selbst auf der Strecke bleiben. 

 

  1. Zielbild einer modernen und digitalen Zivilgerichtsbarkeit: Welche Transformationen sind erforderlich? (Chatham House Rule)

Während dieser Podiumsdiskussion wurde erneut kurz darüber diskutiert, ob das Gesetz zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit noch eine Chance habe, den Vermittlungsausschuss zu passieren. 

 

Ein weiterer Punkt der Diskussion war die flexible Strukturierung des Sachvortrags im Rahmen des Basisdokuments. Ein fortschrittliches Digitalisierungsprojekt, dessen erste Erprobungsphase bereits Mitte 2024 abgeschlossen werden konnte. Dabei wurde betont, dass der Wunsch der Anwender nach möglichst viel Freiheit respektiert werde. Je nach Verfahren kann ein relatives Basisdokument jedoch auch von Richtern vorpräpariert werden.

 

Mit Blick auf die bisherigen Entwicklungen der Justizdigitalisierung wurden die folgenden Schlüsse gezogen:

 

  1. Ein Ansatz, der alle Stakeholder einbezieht – Richter, Mitarbeitende in den Geschäftsstellen, Anwälte, Notare, Bürger und die IT-Branche – ist essenziell.
  2. Akzeptanz und Vertrauen sind entscheidend, wofür Legal-Design-Methoden unerlässlich sind.
  3. Insbesondere Bürgerportale müssen Bürgernähe, Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit ausstrahlen.
  4. Bezüglich einer kollaborativen Plattform wurde auf die Vorteile von Transparenz, Struktur und Erreichbarkeit hingewiesen. Das PDF sollte nicht als Endpunkt der digitalen Kommunikation betrachtet werden.

 

Unser Fazit: Wir können den vier Schlussfolgerungen nur zustimmen. Daneben darf die Aus- und Weiterbildung der Jurist:innen im Hinblick auf die Digitalisierung und die Nutzung der jeweiligen Anwendungen nicht vernachlässigt werden.

 

  1. „Allgemeine KI-Richterassistenz“ der Justiz Baden-Württemberg: Strukturierungsassistent zur Aufbereitung von Gerichtsakten

 

Während der Veranstaltung wurden auch einige Anwendungen, die in der Justiz verwendet werden sollen, wie beispielsweise die “Allgemeine KI-Richterassistenz” vorgestellt. Dabei handelt es sich um eine Digitalisierungsinitiative nach dem “Einer für alle”-Prinzip (EFA), welche derzeit in Baden-Württemberg probemäßig eingesetzt wird. Hauptziel des Assistenten ist es, die Bearbeitung von umfangreichen Akten und Materialien zu erleichtern, indem er diese strukturiert und aufbereitet. Dies würde die Sachbearbeitung erheblich vereinfachen und die Effizienz steigern. Das Entscheiden in der Sache bleibt jedoch weiterhin Aufgabe der Richter. 

 

Unser Fazit: Diese Anwendung zeigt repräsentativ, dass es viel Bestreben nach Fortschritt in der Justizdigitalisierung gibt und was möglich sein könnte. Dieses sowie die anderen Projekte geben Grund und Anreiz, die Entwicklung der Justiz weiter zu fördern. Dies sollte auf legislativer sowie finanzieller und auch technologischer Ebene geschehen.



Last Updated on 4. Dezember 2024