Liebe Leser:innen,
in dieser Ausgabe haben wir wieder ganz viele interessante Themen rund um Legal Tech im Newsletter:
- Was sind die Digitalisierungspläne der nächsten Bundesregierung?
- Der Bund nimmt die erste staatliche Fluggastrechte Platform in Betrieb
- Entscheidung vor dem EuGH: Wenn Algorithmen entscheiden – warum Verbraucher jetzt ein stärkeres Recht auf Einblick haben
- Nachbericht: recode.law beim DAV IT-Rechtstag
- Legal Tech Basics: Agentic AI
- Wir haben auch einen Veranstaltungstipp und einen Video Tipp für Euch!
Redaktion:Dennis, Florian, Helena,Jeremias, Mounir, Patrick und Friedrich
Wir sind gespannt auf Eure Meinung! Wir freuen uns über eure Vorschläge und Feedback an radar@recode.law!
Erste Hinweise in den Koalitionsgesprächen
Schwarz-rote Digitalisierungspläne
Nach der Wahl ist vor der Regierungsbildung – Wahlprogramme müssen zueinander finden, mitunter entstehen ganz neue (erhoffte) Lösungen für die (ausgemachten) Probleme unseres Landes. Naturgemäß brodelt nun die Gerüchteküche, aber durch dasBekanntwerden der Verhandlungsergebnisse der Arbeitsgruppen lassen sich erste Grundpfeiler für die Digitalpolitik der nächsten Legislaturperiode erkennen:
Arbeitsgruppe (AG) 1 vereinbart, dass Sicherheitsbehörden automatisiert u.a. Daten bzgl. Hass im Netz von Plattformen bereitstellen und sie analysieren lassen können. Auch andere Verwaltungsprozesse und der behördliche Datenaustausch sollen automatisiert werden (AG 9, 10). Bürger können sich über die Automatisierung von Ticketerstattungen, einfach gelagerten Steuererklärungen und ereignisbezogenen Verwaltungsleistungen wie Kindergeldbescheide (AG 1, 16, 3, 9) freuen.
Keine Automatisierung, aber weniger Papierstapel dürfte einerseits der digitale Verwaltungszugang per Deutschland-ID/EUDI-Wallet und mit einem „once-only“-Grundsatz (AG 3, 9, 10), andererseits ein digitales Justizportal für Anträge, Kommunikation und Register (AG 9) bringen. Flankierend will Schwarz-Rot Formvorschriften flexibilisieren, Übermittlungsstandards einführen, das öffentliche IT-Hosting übernehmen und für weitere Belange ein digitales Bürokratiemeldeportal bereitstellen (jeweils AG 9).
Was im Zeitalter vor ChatGPT noch Randerscheinung war, ist nun zentrales Anliegen: Künstliche Intelligenz soll in Verwaltungsprozesse, Justiz, Verteidigungsausrüstung und Finanzverwaltung Einzug halten (AG 9, 12, 16). Sicherheitsbehörden dürfen „für bestimmte Zwecke“ per KI Daten analysieren und online biometrische Abgleiche durchführen (AG 1). Zur Steigerung der Produktivität wird eine „innovationsfreundliche“ Regulierung angestrebt (AG 2, z.B. nach AG 4 neue Modellregionen für autonomes Fahren), um eine der EU-KI-„Gigafactories“ geworben (AG 3, 8) und KI-Reallabore für KMUs bereitgestellt (AG 3). Gleichzeitig wird aber der Urheberrechtsschutz und Wettbewerb angemahnt (AG 1, 8, 14, 2). Daneben soll die Behandlungs- und Pflegedokumentation und ein Familienleistungsportal mit KI unterstützt werden (AG 6, 7).
(Weiter) Digitalisiert werden soll insbesondere die Bau-, Finanz-, Förderungs-, Migrations- und Sozialverwaltung (AG 4, 16, 8, 9, 10, 1, 5) mithilfe eines „Deutschland-Stack“ mit KI, Cloud-Diensten und „Basiskomponenten“ (AG 3, 9). Mehr digitale Infrastruktur soll es in Krankenhäusern, Kinder-Einrichtungen und im Mobilfunknetz geben (AG 6, 7, 8, 15). Schulkinder erhalten eine Schüler-ID, können digital Berufe kennenlernen und sich weiterbilden, später im Studium digital BAföG beantragen und schließlich digital ein Unternehmen gründen, in dem ggf. auch digital mitbestimmt werden soll und dessen verursachte gesundheitliche Probleme – per ePA – digital von einem Arzt oder Psychotherapeuten behandelt werden können (AG 6, 8, 2, 5). Weitere Digitalprojekte sind z.B. eine Agentur für Fachkräfteeinwanderung mit beschleunigter Anerkennung der Berufsqualifikation (AG 5, 8, 12), Online-Verfahren in der Zivilgerichtsbarkeit (AG 9) und Photovoltaik-Anmeldungen (AG 15). Bei aller Digitalisierung soll aber die digitale Teilhabe gewahrt werden, z.B. durch eine App für Jugendliche, die Zugang zu Sport-, Kultur- und weiteren Angeboten bieten soll (AG 3, 7).
Das Fundament dieses digitalen Deutschlands soll durch Investitionen u.a. in Clouds, Robotik, Quantencomputer, Verteidigungssoftware, IT-Sicherheit, aber auch landwirtschaftlichen Drohnen gesichert werden (AG 2, 3, 4, 8, 11, 12). In den Fokus der Förderstellen gelangen zudem Gaming-, Edge-Computing– und Deep-Tech-Unternehmen (AG 2, 3, 8). Bürger werden durch die Vermittlung digitaler Kompetenzen und Aufklärung über Cybergefahren an die Hand genommen (AG 2, 3, 7, 8). Zu Unterwasserrobotik und autonomen Schiffen soll geforscht (AG 2), für Cybersicherheitsforscher soll „Rechtssicherheit“ geschaffen werden (AG 1, Hackerparagraph?).
Wer nun den Datenschutz gefährdet sieht, wird u.a. mit Open-Source- und PET-Versprechen beschwichtigt (AG 3). Die Vorgaben für KMUs, Forscher und ehrenamtlich Tätige werden dagegen erleichtert (AG 3, 8, 10). Daten sollen generell “besser nutzbar” sein und entsprechende Kompetenzen aufgebaut werden (jeweils AG 9). Ob dies alles DSGVO-konform ist, bleibt abzuwarten.
Auch die Kehrseite der Digitalisierung hat die künftige Merz-Regierung im Blick: Bots/Fake-Accounts sollen gekennzeichnet, Dark Patterns und süchtig machende Designs verboten, sexualisierte Deepfakes strafbar werden (AG 1, 3, 7, 14). Regelmäßige Einwilligungen in GPS-Tracking soll Stalkern das Leben erschweren (AG 1). Verpflichtende Altersverifikationen und sichere Voreinstellungen bei digitalen Endgeräten und Angeboten tragen zum Jugendschutz bei (AG 7, 14).
Weitere relevante Einigungen beziehen sich auf eine verpflichtende digitale Zahlungsoption neben Bargeld (AG 16) und eine Neuauflage der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung (AG 1).
Ob Union und SPD ihre verbleibenden Differenzen überwinden werden und wie das Chaos an den Finanzmärkten nach Trumps Zollankündigungen diese Einigungen treffen wird, bleibt abzuwarten. Die Kanzlerwahl ist (mittlerweile) für Anfang Mai anvisiert.
Fluggastrechte Platform Bund
Echte Alternative oder vor dem Abflug zum Scheitern verurteilt?
Die Justiz digitalisiert sich – Schritt für Schritt. Mit dem neuen Online-Klagetool für Fluggastrechte ist nun ein weiterer konkreter Baustein der Digitalisierungsinitiative von Bund und Ländern live gegangen. Seit dem 27. März 2025 können betroffene Fluggäste ihre Ansprüche unkompliziert online geltend machen – ein Novum in der deutschen Zivilgerichtsbarkeit.
Das neue Portal ist als niedrigschwelliger Zugang für Verbraucher:innen konzipiert, die etwa eine Entschädigung bei Flugverspätungen oder -annullierungen nach der EU-Fluggastrechteverordnung (VO (EG) Nr. 261/2004) einfordern möchten. Der gesamte Ablauf – von der Klageerhebung bis zur Kommunikation mit dem Gericht – erfolgt vollständig digital und ohne Anwaltszwang. Die Kommunikation läuft über die Plattform „Mein Justiz Postfach“, für das man sich wiederum über die „BUND-ID“ anmelden kann. Damit bildet das Portal den Auftakt für eine Serie digitaler Justizdienste, die im Rahmen des „Zivilgerichtlichen Online-Verfahrens“ entwickelt werden.
Der neue Dienst ist zunächst als Modellprojekt an insgesamt sieben flughafennahen Pilotgerichten gestartet, darunter die Amtsgerichte Düsseldorf, Frankfurt a.M. und Hamburg. Nutzer:innen werden durch ein strukturiertes Online-Formular geführt, das typische Anspruchsgrundlagen und Sachverhalte rund um Flugprobleme abfragt. Die eingegebenen Daten werden automatisiert in ein strukturiertes Dokument überführt und direkt ans Gericht übermittelt.
Technisch handelt es sich um einen ersten Schritt in Richtung einer maschinenlesbaren Klageverarbeitung. Ziel ist es, künftig auch die gerichtsinternen Abläufe zu verschlanken – etwa durch automatisierte Aktenanlage oder standardisierte Prüfverfahren für Massenklagen. Langfristig soll ein ressourcenschonendes, weitgehend digitales Verfahren für standardisierte Zivilklagen entstehen.
Dass die Wahl für das Pilotprojekt auf Fluggastrechte fiel, ist nachvollziehbar: Die Verfahren sind massenhaft und einfach standardisierbar. Nicht umsonst traten auch in diesem Gebiet die ersten bekannten Legal-Tech Unternehmen auf. Ob das Modell des auf andere Rechtsgebiete übertragbar ist und eine echte Konkurrenz für etablierte Anbieter bieten kann, bleibt offen.
Vorteil der Plattform ist, dass eine Aufteilung des Klageerfolgs anders als bei kommerziellen Anbietern nicht notwendig ist. Allerdings sind die Möglichkeiten der Plattform begrenzt. So können beispielsweise keine Ansprüche von Minderjährigen direkt geltend gemacht werden. Auch sind bisher zwar Rechtshängigkeitszinsen einklagbar, der praktisch relevante Anspruch auf Verzugszinsen ist aber nicht vom Angebot umfasst.
Trotz aller Kritik: Das neue Fluggast-Portal ist ein sichtbares Ergebnis der „Digitalisierungsinitiative für die Justiz“, die Bund und Länder seit 2021 gemeinsam vorantreiben. Ziel ist es, Verfahren bürgernäher, schneller und einfacher zu machen – bei gleichzeitig hoher Verfahrenssicherheit. Neben der Digitalen Rechtsantragstelle gehören auch Projekte wie die Justizcloud oder die digitale Strafakte zur Initiative.
Open Euro LLM
LLM made in Europe
Seit Februar hat die EU-Kommission ein Konsortium aus den besten Universitäten und Unternehmen in Europa rund um Künstliche Intelligenz aufgebaut, um eine europäische KI zu entwickeln.
Das Ziel der Initiative ist, dass eine Künstliche Intelligenz nach europäischen Regulierungsstandards zustande kommt, Demokratisierung der KI und Stärkung des europäischen Wirtschaftsstandorts. Zudem soll das Produkt auch alle 24 Amtssprachen in der Europäischen Union unterstützen. Das Projekt soll durch Offenheit und Transparenz in allen Aspekten des Projekts geprägt sein und OpenSource zur Verfügung gestellt werden.
Scoring im Luxemburger Visier
EuGH stärkt (erneut) Verbraucherschutz: KI-basierte Bonitätsprüfungen müssen für Verbraucher nachvollziehbar sein
Schon seit Jahren greifen insbesondere Banken auf algorithmische Verfahren zur automatisierten Entscheidungsfindung zurück. So etwa im Rahmen der sogenannten „Kreditwürdigkeitsprüfung“; hier entscheiden KI-basierte Prozesse darüber, ob ein Kredit vergeben wird. Sie sind komplex, datenintensiv und oftmals intransparent. Die Kriterien, die der Entscheidung zugrunde liegen, bleiben häufig im Verborgenen. Doch Betroffene, die mit einer negativen Entscheidung konfrontiert sind, haben Schwierigkeiten, die Hintergründe zu verstehen. Der EuGH stärkt jetzt erneut die Auskunftsrechte von Verbrauchern.
I. Scoring – Schnell, günstig und riskant?
Scoring ist ein Verfahren zur automatisierten Bewertung von natürlichen Personen. Das datengetriebene Verfahren dient vielfach aber nicht zwangsläufig dazu, die Wahrscheinlichkeit von Zahlungsausfällen abzuschätzen. Berücksichtigt wird etwa das bisherige Zahlungsverhalten oder bestehende Verbindlichkeiten gegenüber sonstigen Dritten.
Der Einsatz dieses Use Cases ist in allen Branchen verbreitet, die mit Verbrauchern zusammenarbeiten und mit finanziellen Risiken durch konstant bestehende Verbindlichkeiten konfrontiert sind (bspw. Banken- und Finanzsektor oder auch Telekommunikationsdienstleistungen). Dieser Use Case ist beliebt, da er eine schnelle, kostengünstige und automatisierte Risikoeinschätzung in Sekunden ermöglicht.
Verbraucherschützer warnen jedoch schon lange vor den Risiken: Fehlende Transparenz, erhöhte Gefahr für Diskriminierungen und die Gefahr von Fehleinschätzungen bereiten Sorgen.
II. Scoring als regulierter Use Case in EU AI Act und DSGVO
Angesichts der immanenten Risiken verwundert es nicht, dass Scoring vielfach ein regulierter Use Case ist. Gemäß Art. 6 II EU AI Act i.V.m Anhang III Nr. 5 lit. a, b und c sind KI-Systeme, die über die „Zugänglichkeit und Inanspruchnahme grundlegender privater und grundlegender öffentlicher Dienste“ entscheiden als „High-Risk“ Use Case einzuordnen. Insb. Anhang III Nr. 5 lit. b definiert indes den Standardfall des Scorings: Die Kreditwürdigkeitsprüfung.
Art. 86 des Acts – Recht auf Erläuterung der Entscheidungsfindung im Einzelfall – ist vor dem Hintergrund des Scoring Use Cases zu lesen; demnach hat eine Person, die bspw. Gegenstand einer Kreditwürdigkeitsprüfung gem. Anhang III Nr. 5 lit. b geworden ist, das Recht zu erfahren, welche Informationen die Entscheidung beeinflusst haben.
„Scoring“ ist auch in der DSGVO als regulierter Anwendungsfall verankert; nach Art. 22 VII hat eine Person das Recht, nicht ausschließlich Gegenstand einer auf automatisierten Verarbeitung beruhenden Entscheidung zu sein. Parallel dazu sieht Art. 15 DSGVO einen Auskunftsanspruch für betroffene Personen vor. Insbesondere Art. 22 VII DSGVO ist vor dem Hintergrund des Scoring Use Cases zu lesen.
Nach Art. 2 VII stehen der AI Act und die DSGVO in Idealkonkurrenz zueinander.
III. Scoring als Gegenstand der EuGH-Rechtsprechung
In der Rechtssache C-203/22 entschied der EuGH Ende Februar 2025, dass Betreiber von KI-Systemen, die der automatisierten Entscheidungsfindung im Rahmen eines „Scoring-Verfahrens“ dienen, gegenüber den betroffenen Personen weitgehende Offenlegungspflichten haben. Der Verweis auf Geschäftsgeheimnisse rechtfertige kein Verweigerungsrecht gegenüber den Betroffenen.
1. Sachverhalt des Rechtsstreits
Der Kläger versuchte, bei dem Beklagten, einem Mobilfunkanbieter, einen Handytarif abzuschließen. Der Vertragsschluss wurde jedoch vonseiten des Anbieters abgelehnt, nachdem ein KI-basierter Bonitätsscore ein negatives Ranking ermittelt hatte. Der Kläger forderte daraufhin Auskunft über die Entscheidungsgrundlagen, doch der Beklagte verweigerte die Herausgabe von Informationen mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse.
2. Streitgegenständliche Normen
Im Fokus der gerichtlichen Auseinandersetzung standen die Art. 22 DSGVO („Automatisierte Entscheidungen im Einzelfall“) und Art. 15 DSGVO („Auskunftsrecht der betroffenen Person“). Im Verfahren berief sich die Klägerseite ursprünglich auf Art. 86 der KI-VO („Recht auf Erläuterung der Entscheidungsfindung im Einzelfall“). Obwohl dieser Verweis nicht in das Urteil aufgenommen wurde, lässt sich aufgrund der Idealkonkurrenz mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass das Urteil unter Berücksichtigung dieser Vorschrift zu einem identischen Ergebnis geführt hätte.
3. Richterliche Erwägungen in Kontinuität zum Schufa-Urteil (RS C-634/21)
Der EuGH stärkt im Urteil die Rechte betroffener Verbraucher, indem er Artikel 22 und Artikel 15 DSGVO eine zentrale Rolle zuweist. Insbesondere kann den Ansprüchen betroffener Verbraucher nicht ein Auskunftsverweigerungsrecht aufgrund bestehender Geschäftsgeheimnisse entgegengehalten werden.
Der EuGH erkennt jedoch auch das berechtigte Interesse von Unternehmen am Schutz ihrer Geschäftsgeheimnisse an und betont daher, dass Datenschutzbehörden vorab nur jene Informationen weitergeben sollen, die für die Urteilsbildung der betroffenen Person erforderlich sind. Der Datenschutzbehörde kommt also eine Filterfunktion zu. Dabei berücksichtigt der EuGH ferner, dass Bonitätsscoring häufig an spezialisierte Drittanbieter ausgelagert wird – wie im vorliegenden Fall an „Dun & Bradstreet“ –, weshalb Betroffene Informationen von allen beteiligten Akteuren verlangen können. Zudem gilt ein hoher Transparenzstandard in Anlehnung an Art. 15 I lit. h DSGVO: Die herausgegebenen Informationen müssen aussagekräftig sein und Rückschlüsse auf die „involvierte Logik“ zulassen, wobei die Perspektive eines durchschnittlichen, nicht juristisch gebildeten Verbrauchers maßgeblich ist.
Mit dem neuen Urteil in dieser Rechtssache setzt der EuGH die Linie seiner bisherigen Judikatur im Bereich „Scoring“ und „automatisierte Entscheidungsfindung“ fort. Insbesondere wird hierdurch klar, dass das viel beachtete Schufa-Urteil aus dem Dezember 2023 kein „juristischer Unfall“, sondern Beginn einer zusammenhängenden Rechtsprechungslinie wurde.
IV. Ausblick
„Automatisierte Entscheidungsfindung“ durch KI-Systeme wird aufgrund ihrer offensichtlichen Vorteile im Bereich der „Scoring-Verfahren“ immer häufiger eingesetzt. Besonders die gesteigerte Effizienz – eine der Folgen maximal möglicher Automatisierung – sind dabei unbestreitbare Vorteile.
Angesichts der zunehmenden regulatorischen Komplexität und ihrer Umsetzung durch höchstrichterliche Judikatur ist jedoch auch Vorsicht geboten. Es existieren folgende Stolpersteine:
1) Scoring-Systeme sehen sich mit einer erhöhten regulatorischen Dichte konfrontiert. Zentrale Vorschriften der DSGVO – bspw. Art. 22 oder Art. 15 – sind vor dem Hintergrund dieses Use Cases auszulegen.
2) Der Use Case erfährt zudem eine wachsende Regulierung durch den EU AI Act – Es besteht ein hohes Risiko, dass derartige Systeme als „High-Risk“ klassifiziert werden, Art. 6 II i.V.m Anhang III. Zusätzlich ist die Sonderbestimmung des Art. 86 KI-VO zu berücksichtigen; diese Vorschrift begründet eine Anspruchsqualität.
3) Die bisherige EuGH-Rechtsprechung legt in Übereinstimmung mit den regulatorischen Rahmen restriktive Anforderungen fest, die vor allem dem Schutz von Verbraucherrechten dienen. Unternehmen sollten sich nicht nur mit den gesetzlichen Vorgaben vertraut machen, sondern auch die richterlichen Erwägungen.
12. Deutscher IT-Rechtstag
recode.law bei der davit
VergangeneWoche war recode.law auf dem 12. Deutschen IT-Rechtstag in Berlin vertreten – wie schon im vergangenen Jahr moderierte Lina Fredebeul gemeinsam mit Karsten Bartels den ersten Veranstaltungstag. Dabei konnten wir nicht nur viele spannende Einblicke in die Praxis gewinnen, indem wir mit den unterschiedlichsten Personen ins Gespräch kamen.
Auch das abwechslungsreiche Programm bot spannende Einblicke in aktuelle Entwicklungen des IT-Rechts: Isabelle Biallaß informierte über den Stand der Digitalisierung der Justiz – ein Thema, das auch bei recode.law ganz oben auf der Agenda steht.
Weitere Highlights waren Vorträge zum immateriellen Schadensersatz nach der DSGVO, zum neuen Produkthaftungsrecht im Zusammenhang mit Software sowie zur juristischen Berichterstattung in den Medien.
Besonders interessant für angehende Jurist:innen: Im Rahmen des Referendariats ist eine Station in der (ARD-)Rechtsredaktion möglich – mit spannenden Einblicken und Mitwirkungsmöglichkeiten bei Radio-, TV- und Podcast-Formaten.
Ein besonderer Programmpunkt war auch die Verleihung des IT-Rechtspreises der davit, der innovative Beiträge in den verschiedensten Formaten zu IT-rechtlichen Themen auszeichnet. Der Wettbewerb richtet sich an Nachwuchsjurist:innen – eine Inspiration für eine mögliche Teilnahme im kommenden Jahr. In diesem Jahr wurde Dr. Michelle Weber für ihr Quiz „Wer wird Datenmillionär?“, ein Quiz zum Data Act, ausgezeichnet.
Wir freuen uns über das Interesse des neu gewählten davit-Vorstandes, die Zusammenarbeit mit recode.law weiterzuführen und die Bereitschaft für Anregungen und Themenvorschläge und sind gespannt auf die nächsten gemeinsamen Schritte!
Legal Tech Basics
Agentic AI
Die digitale Transformation macht auch vor dem Rechtswesen nicht halt. Der Begriff “Legal Tech” umfasst eine Vielzahl von Technologien, die juristische Dienstleistungen effizienter, kostengünstiger und zugänglicher machen. Dabei reicht die Bandbreite von automatisierten Dokumentenerstellungen bis hin zu komplexen Analysewerkzeugen, die auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) Entscheidungen unterstützen.
Doch während traditionelle Künstliche Intelligenz bereits beeindruckende Fortschritte erzielt hat, stößt sie in zunehmend dynamischen und komplexen Anwendungsfeldern an ihre Grenzen. Genau hier setzt “Agentic AI” an – ein Paradigmenwechsel in der KI-Entwicklung.
Was ist Agentic AI?
Agentic AI bezeichnet eine Weiterentwicklung traditioneller KI-Ansätze, die sich durch ihre Fähigkeit zur proaktiven Entscheidungsfindung und Anpassung auszeichnet. Im Gegensatz zur herkömmlichen KI, die auf festen Regeln basiert und reaktiv arbeitet, verfolgt Agentic AI einen flexiblen, zielgerichteten Ansatz.
Diese Systeme sind darauf ausgelegt, eigenständig – mit minimalem oder gar keinem externen Input – komplexe Entscheidungen zu treffen. Sie nutzen sogenanntes “advanced reasoning”, um logische Schlüsse zu ziehen und ihre eigenen Fähigkeiten kontinuierlich zu optimieren. Agentic AI kann auf verschiedene APIs zugreifen und diese sinnvoll koordinieren, was sie besonders leistungsfähig und vielseitig macht.
Eine anschauliche Metapher für Agentic AI ist ein Projektmanager, der mehrere hochspezialisierte Mitarbeiter autonom führt und koordiniert, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.
Potentielle Anwendungsfelder
Agentic AI bietet weitreichende Möglichkeiten, die Arbeitswelt grundlegend zu verändern. Im Bereich des autonomen Fahrens ermöglicht sie durch Echtzeitanalyse und kontinuierliche Anpassung des Systems sicherere und effizientere Transportsysteme. Als virtuelle Pflegekraft ist Agentic AI in der Lage, Patientenbedürfnisse eigenständig zu analysieren, darauf zu reagieren und kontinuierlich zu lernen, was einen enormen Mehrwert im Gesundheitswesen darstellt. Auch das Lieferkettenmanagement profitiert erheblich von dieser Technologie, da sie Muster erkennt und fundierte Entscheidungen basierend auf historischen Daten und Echtzeitinformationen trifft.
Vorteile von Agentic AI
Die Produktivität wird erheblich gesteigert, da Routineaufgaben automatisiert werden und menschliche Arbeitskraft somit für komplexere Tätigkeiten freigesetzt wird. Durch kontinuierliches Lernen entstehen individualisierte Lösungen, die den Nutzern passgenau angepasst werden können. Effizienzgewinne entstehen zudem durch die Integration und Koordination verschiedener Systeme, was zu einer Optimierung von Workflows führt.
Herausforderungen und ethische Fragestellungen
So vielversprechend Agentic AI auch ist, bringt sie doch auch Herausforderungen mit sich. Datenschutzfragen, potenziell fehlerhafte Entscheidungen oder falsche Interpretationen stellen Risiken dar, die es zu minimieren gilt. Auch ethische Bedenken dürfen nicht außer Acht gelassen werden – insbesondere, wenn autonome Systeme Entscheidungen treffen, die tiefgreifende Auswirkungen auf Menschen haben können.
Fazit
Agentic AI stellt einen bedeutenden Schritt in der Entwicklung intelligenter Systeme dar. Ihr Potential, von automatisierten Workflows bis hin zu komplexen Prognosemodellen, ist enorm. Doch nur durch eine verantwortungsvolle und durchdachte Implementierung können die Vorteile dieser Technologie voll ausgeschöpft werden.
Fortschritt beim Bachelor of Laws
Hessen führt den LL.B. ein
Hessen führt ab dem 1. Oktober 2025 den Bachelor of Laws ein. Der Abschluss steht Studierenden offen, die nach dem 1. Januar 2020 die Zulassungsvoraussetzungen für das erste Staatsexamen erfüllen. Die Neuerung soll den Druck auf Studierende verringern und alternative berufliche Perspektiven bieten. Hier geht´s zum Beck Artikel mit einem Überblick über den Stand der Einführung.
Veranstaltungs-Tipp
Key Legal Issues im IT- & Datenschutzrecht mit Prof. Paal!
Am 5. Mai 2025 laden wir euch gemeinsam mit MLTech an die LMU München zu einem spannenden Event mit Prof. Boris Paal (TU München) ein!
Thema:
Die digitale Transformation stellt das Recht vor große Herausforderungen: Künstliche Intelligenz & Datenschutz werfen immer neue Fragen auf. Wie können rechtliche Rahmenbedingungen mithalten? Wie kann internationaler Datentransfer und KI-Training datenschutzkonform gestaltet werden?
Programm:
- Impulsvortrag von Prof. Boris Paal
- Datenschutz & KI – Aktuelle Entwicklungen & Herausforderungen
- Plattformregulierung & Wettbewerb – Neue EU-Vorgaben im Überblick
- Q&A-Session – Eure Chance, Fragen direkt an Prof. Paal zu stellen!
Wo? LMU München | Wann? 5. Mai 2025, 18:15 Uhr
Veranstaltet von:
- MLTech – Studentischer Verein mit Fokus auf Machine Learning & KI
- recode.law – Die führende Legal Tech Initiative für digitales Denken in der Rechtsbranche
Jetzt vormerken & dabei sein!
Veranstaltungs-Tipp
Recode.talks mit mit Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider (BfDI)
Deep Dive zum Daten(schutz)recht mit Louisa Specht-Riemenschneider!Am 23.05. um 12 Uhr begrüßen wir die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider! Freut euch auf spannende Insights zu:
- Anstehende Änderung der DSGVO?
- Aufsichtsstruktur im Wandel
- Zuständigkeiten bei den Digitalrechtsakten
- Anpassung des BDSG
- Abschaffung der Informationsfreiheit?
Seid live dabei und bringt euch aktiv ins Gespräch ein! Ihr dürft Fragen stellen und euch damit selbst in das Gespräch einbringen. Wir freuen uns auf euch!
Video Tipp
recode.law Gründer Mathias und Patrick Prior
Last Updated on 12. April 2025