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Die digitale Justiz in Deutschland und im internationalen Vergleich

 

Autorinnen: Sophia Fälschle und Elouisa M. Müller

 

Dieser Beitrag ist im Rahmen der Student Driven University (SDU) von recode.law im Wintersemester 2020/2021 entstanden. Bei der SDU beschäftigen sich die Mitglieder:innen von recode.law in kleinen Teams mit Digitalisierungsthemen ihrer Wahl. Der vorliegende Beitrag wurde von dem Team, bestehend aus Sophia Fälschle und Elouisa M. Müller, verfasst. Das Team hat das SDU-Semester dazu genutzt, um sich vertieft mit der digitalen Justiz in Deutschland und der internationalen Lage zu beschäftigen.

In Zeiten der zunehmenden Digitalisierung des Rechtsbereiches (Stichwort „Legal Tech“) bleibt auch die Justiz von dieser Entwicklung nicht ausgeschlossen. Immer mehr Stimmen in Wissenschaft und Praxis fordern die Anpassung des Zivilprozesses in Deutschland an das digitale Zeitalter. Zu diesem Zweck wurde eine durch die obersten Zivilgerichte von Bund und Ländern bestehende Arbeitsgruppe im Jahr 2019 eingesetzt. Resultat ist ein Diskussionspapier[1], welches Vorschläge zur Modernisierung des Zivilprozesses unterbreitet und Gegenstand von Beratungen im Rahmen des Zivilrichtertags am 2. Februar 2021 war.  Ziel des Diskussionspapiers ist es, „neue technische Möglichkeiten sinnvoll nutzbar zu machen und Gerichtsverfahren bürgerfreundlicher, effizienter und ressourcenschonender zu gestalten.“[2]

 

I. Das Diskussionspapier zur Modernisierung des Zivilprozesses in Deutschland in Kürze

Als übergreifende Vorschläge behandelt das Diskussionspapier hierbei zunächst einen erleichterten elektronischen Zugang zur Ziviljustiz durch Justizportale, echte Online-Mahnverfahren oder virtuelle Antragsstellung. Darüber hinaus soll der elektronische Rechtsverkehr insgesamt optimiert werden. Hierzu gehört u.a. die Einführung eines Kanzleipostfachs im besonderen elektronischen Anwaltspostfach, die Reform der Zustellung gegen ein elektronisches Empfangsbekenntnis durch eine automatisierte Eingangsbestätigung oder eine Zustellungsfiktion sowie die Schaffung eines virtuellen Nachrichtenraums.[3] Für massenhaft auftretende Streitigkeiten mit Streitwerten bis 5.000 EUR schlägt die Arbeitsgruppe die Einführung eines Beschleunigten Online-Verfahrens vor. Damit soll in erster Linie den sinkenden Eingangszahlen in der Ziviljustiz aufgrund von erheblichem Zeit- und Kostenaufwand entgegengewirkt werden.[4]

Ferner spricht sich die Arbeitsgruppe für eine Strukturierung des Parteivortrags und des Verfahrens aus. Hierfür sehen die Experten die Einführung eines Basisdokuments vor, welches in Form einer Relationstabelle aufgebaut ist und das vollständige Parteivorbringen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht beinhaltet. Wesentlich ist auch der Vorschlag zur Einführung von Videoverhandlungen und Protokollierung im deutschen Zivilprozess. Hierbei geht es um die Möglichkeit einer virtuellen Verhandlung mittels Videokonferenzen, in der z.B. auch die Zeugenvernehmung mittels Videoanruf erfolgen kann.[5]

Abschließend behandelt das Thesenpapier auch Vorschläge für ein effizienteres Verfahren durch den Einsatz technischer Möglichkeiten und die Stärkung des Vertrauens in die Justiz durch erhöhte Transparenz. Letzteres umfasst damit auch eine Regelung zur Veröffentlichung von Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung, die Außenstehenden zugänglich gemacht werden sollen.[6]

 

II. Ein Blick auf die internationale Lage

Die digitale Justiz ist aber seit geraumer Zeit kein nur nationales Thema mehr. Vielmehr lohnt ein Blick auf die internationale Lage.

Einige Länder haben bereits staatliche Online-Gerichte eingeführt, die Kommunikation zwischen Gericht, Parteien und Anwälte digitalisiert oder die Beweissicherung auf Online-Plattformen etabliert.

1) China

2017 hat Hangzhou, China, das weltweit erste virtuelle Gericht geschaffen. Dieses ist u.a. für Online-Aktivitäten, online begangene Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Produkthaftungsfälle aus Onlinekaufverträgen zuständig.[7] Die ausschließlich dafür konzipierte Verfahrensordnung sieht vor, dass die Klageerhebung und die Verteidigung online stattfinden, die Parteien sich per Gesichtserkennung identifizieren, die Beweismittel online vorgelegt werden und schließlich das Urteil online verkündet und zugestellt wird.[8]

2) Kanada

Der kanadische Civil Resolution Tribunal (CRT) stellt ebenfalls eine Möglichkeit für Online-Streitbeilegungen dar. Nach der Errichtung im Jahre 2012 wurden die Zuständigkeiten 2018 ausgeweitet: diese liegen im Bereich von Angelegenheiten mit einem Streitwert bis zu 5000 kanadischen Dollar, Kraftfahrzeugunfällen und Eigentums- und Gesellschaftsangelegenheiten.[9] Das CRT wirbt insbesondere damit, den kanadischen Bürgern ein schnelles, unkompliziertes und vertrauliches Verfahren zur Verfügung zu stellen.

3) Dänemark

In Dänemark müssen seit 2018 alle zivilrechtlichen Verfahren digital erfolgen. Ausnahmen sind nur für Sonderfälle angedacht. Die Parteien und das Gericht sind verpflichtet, die Kommunikation in dem Portal minretssag.dk zu führen, sodass postalische Schriftsätze keine rechtlichen Wirkungen mehr entfalten.[10] Dem derzeitigen Status sind langjährige Testungen voraus gegangen, in denen alle Beteiligten die Möglichkeit hatten, sich mit dem Portal vertraut zu machen.[11]

 

III. Was folgt daraus für Deutschland?

Gerade der Vergleich mit anderen Ländern zeigt, dass Deutschland in der Entwicklung hin zu einer digitalen Justiz zurückhängt. Insgesamt lässt sich festhalten, dass Deutschland nicht zu den Vorreitern in der Digitalisierung gehört. Gerade datenschutzrechtliche Aspekte und eine traditionell geprägte Verfahrensordnung verzögern eine einfache und schnelle Umsetzung der Justiz in die digitale Welt. Nichtsdestotrotz zwang insbesondere die Corona-Krise zu ersten digitalen Strategien, von denen auch die Justiz nicht ausgenommen wird. Es gibt auch in Deutschland erste Meilensteine, um die Prozessführung online zu gestalten. Insbesondere § 128a ZPO verspricht eine echte Alternative zur analogen gerichtlichen Verhandlung.

Das vorgestellte Diskussionspapier in Deutschland scheint auch hier ein guter Anfang in eine richtige Richtung zu sein. Allerdings wird es wohl noch einige Zeit in Anspruch nehmen bis Deutschland gerade im internationalen Vergleich aufgeholt hat. So wie die Anpassung der Digitalisierung in anderen Bereichen voranschreitet, ist auch Deutschland gut beraten, die Digitalisierung in der Justiz voranzutreiben. Gleichzeitig kann eine umfassende Digitalisierung nur dann gelingen, wenn klare Regelungen geschaffen werden und die Anwendungen in der Praxis durch eine Benutzerfreundlichkeit gekennzeichnet sind.[12]

Fraglich ist aber, ob die digitale Justiz um „jeden Preis“ erfolgen sollte. Gemeint ist damit, dass auch die über lange Zeit entwickelten und bewährten Grundsätze im Verfahrens- und Prozessrecht nicht einfach „über Bord geworfen“ werden sollten. Schließlich darf dabei nicht übersehen werden, dass hiervon wesentliche Grundsätze des Rechtsstaats tangiert werden. Insofern stellen sich auch in Zukunft Fragen zur Funktionsfähigkeit und Sicherheit von IT-Systemen in der Justiz, zur richterlichen Unabhängigkeit und anderen wesentlichen Verfahrensgrundsätzen, wie z.B. das Recht auf rechtliches Gehör.[13] Es darf mit Spannung erwartet werden, wie sich die Justiz in der Zukunft hinsichtlich der voranschreitenden Digitalisierung aufstellt. Deutschland sollte sich beeilen, um international nicht den Anschluss zu verlieren. Die derzeitige Corona-Pandemie kann dahingehend nur als Warnschuss verstanden werden!

 

Zur verwendeten Literatur:

Buschmann, Almuth/Gläß, Anne-Christin/Gonska, Hans-Henning/Philipp,

Markus/Zimmermann, Ralph: Die Digitalisierung im Fokus – eine Einleitung in den Tagungsband, in: ders. (Hrsg.), Digitalisierung der gerichtlichen Verfahren und das Prozessrecht. 3. Tagung junger Prozesswissenschaftler und- wissenschaftlerinnen am 29./30.09.2017 in Leipzig (Schriften zum Prozessrecht Band 246), Berlin 2018, 7-13, abrufbar unter: https://www.duncker-humblot.de/_files_media/leseproben/9783428553693.pdf (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2021).

Diskussionspapier „Modernisierung des Zivilprozesses“, abrufbar unter:

https://www.justiz.bayern.de/media/images/behoerden-und-gerichte/oberlandesgerichte/nuernberg/diskussionspapier_ag_modernisierung.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Mai 2021).

Guckelberger, Annette/Starosta, Gina: Rechtsschutzgarantie als Taktgeber für die

Digitalisierung der Justiz, in: DRiZ 2020, 22-25.

Lichtenstein, Falk/Ruckteschler, Dorothee, LTO-Beitrag „Chinas erstes Digitalgericht“ vom

29.09.2017, abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/china-gericht-justiz-online-digital-zivilverfahren-legal-tech/ (zuletzt abgerufen am 10.06.2021).

Piroutek, Christian: „Going digital“ statt “Never ending Story”. Dänemark: ein Vorbild für

den elektronisch geführten Zivilprozess, in: e-Justice-Magazin 2018, 16-18, abrufbar unter: https://www.deutscheranwaltspiegel.de/wp-content/uploads/sites/49/2020/01/e-Justice_1-2018.pdf (zuletzt abgerufen am 14.06.2021).

__________________

[1] Diskussionspapier „Modernisierung des Zivilprozesses“, abrufbar unter: https://www.justiz.bayern.de/media/images/behoerden-und-gerichte/oberlandesgerichte/nuernberg/diskussionspapier_ag_modernisierung.pdf (zuletzt abgerufen am 26.05.2021).

[2] Ebda, S. III, abrufbar unter: siehe Fn. 1.

[3] Ebda, S. 15, abrufbar unter: siehe Fn. 1.

[4] Ebda, S. 76, abrufbar unter: siehe Fn. 1.

[5] Ebda, S. 51 f., abrufbar unter: siehe Fn. 1.

[6] Ebda, S. 71, abrufbar unter: siehe Fn. 1.

[7] Lichtenstein/Ruckteschler, LTO-Beitrag vom 29.09.2017, abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/china-gericht-justiz-online-digital-zivilverfahren-legal-tech/ (zuletzt abgerufen am 10.06.2021).

[8] Ebda, abrufbar unter: siehe Fn. 7.

[9] https://civilresolutionbc.ca/how-the-crt-works/getting-started/ (zuletzt abgerufen am 14.06.2021).

[10] Piroutek, in: e-Justice-Magazin 01/2018, 16 (17), abrufbar unter:  https://www.deutscheranwaltspiegel.de/wp-content/uploads/sites/49/2020/01/e-Justice_1-2018.pdf (zuletzt abgerufen am 14.06.2021).

[11] Ebda, S. 17, abrufbar unter: siehe Fn. 10.

[12] Buschmann/Gläß/Gonska/Philipp/Zimmermann (Hrsg.), S. 12; abrufbar unter: https://www.duncker-humblot.de/_files_media/leseproben/9783428553693.pdf (zuletzt abgerufen am 27.05.2021).

[13] Ausführlich hierzu Guckelberger/Starosta, DRiZ 2020, 22 ff.

Last Updated on 11. Juli 2021

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