Editor’s Ramble #78
Liebe Leser:innen,
herzlich willkommen zur aktuellen Ausgabe unseres Newsletters, in dem wir Euch einen umfassenden Überblick über die jüngsten Entwicklungen im Rechtswesen und dessen Digitalisierung geben.
Beim UN-Zukunftsgipfel wurde der globale Digitalpakt vorgestellt, der sich das Ziel einer offenen, freien und sicheren digitalen Zukunft setzt. Erfahre mehr über seinen Inhalt und die nächsten Schritte.
Wir beleuchten die Diskussion zur Zukunft des Zivilprozesses beim 74. DJT und gehen auf die einzelnen besprochenen Aspekte ein.
Passend dazu erklären wir wie der digitale Zivilprozess ablaufen kann und stellen das Pilotprojekt vor.
Wir setzen unsere Reihe zu Legal Tech Basics fort mit einem Beitrag zu AI Governance.
Nicht zu vergessen ist unser Event am 10.10.: Im Rahmen der recode.talks Reihe sprechen wir mit Prof’in. Dr. Marie Herberger, LL.M. neben Legal Tech auch über ihren beeindruckenden Werdegang und ihren Blog “klartext-jura”.
Des Weiteren organisieren wir wieder ein Event mit unserer Partnerkanzlei Bird & Bird (24.10.24 in Frankfurt) – mehr Details unten!
Wir hoffen, dass diese Ausgabe Euch neue Einblicke bietet und zum Nachdenken anregt. Viel Spaß beim Lesen!
Redaktion: Katharina, Dennis, Jakob, Lena, Friedrich und Jeremias.
UN-Zukunftsgipfel
Ein Fortschritt in Richtung des globalen Digitalpaktes
Unter dem Motto „Multilaterale Lösungen für ein besseres Morgen” trafen sich während der 79. Generalversammlung am 22. und 23. September 2024 in New York Staats- und Regierungschefs der Welt zum UN-Zukunftsgipfel (Summit of the Future)
Ziel des Zukunftgipfels ist es, durch die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit und des Multilateralismus gemeinsam die größten Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.
Neben vielen weiteren Fragen wie zur nachhaltigen Entwicklung und Finanzierung dieser und Frieden und Sicherheit auf internationaler Ebene stand auch die Verabschiedung des globalen Digitalpakts (Global Digital Compact) auf der gemeinsamen Agenda.
Allgemeines zum globalen Digitalpakt
Indem er Grundsätze, Ziele und Maßnahmen für eine offene, freie, sichere digitale Zukunft formuliert, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, soll der Digitalpakt den Rahmen für eine „gemeinsame Vision digitaler Zusammenarbeit“ schaffen.
Der erste Entwurf “Zero Draft” wurde im April 2024 fertiggestellt und seitdem stetig weiterentwickelt.
Inhalte des verabschiedeten globalen Digitalpakts
Als übergeordnetes Ziel wird die Schaffung einer inklusiven, offenen, nachhaltigen, fairen und sicheren digitalen Zukunft für alle festgelegt.
Um dies zu erreichen werden sodann die folgenden fünf Teilziele aufgestellt, in die auch der weitere Inhalt des Digitalpaktes gegliedert ist.
- Schließen aller digitalen Ungleichheiten und Beschleunigung des Fortschritts bei den Zielen für nachhaltige Entwicklung;
- Inklusion in die digitale Wirtschaft für alle ausweiten und deren Vorteile zugänglich machen;
- Einen inklusiven, offenen, sicheren und geschützten digitalen Raum schaffen, der die Menschenrechte respektiert, schützt und fördert;
- Verantwortungsvolle, gerechte und interoperable Ansätze für die Daten-Governance weiterentwickeln;
- Die internationale Regulierung von Künstlicher Intelligenz zum Wohle der Menschheit verbessern.
Hinsichtlich der Umsetzung dieser Ziele verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten zur Beachtung von dreizehn Prinzipien. Diese lauten zusammengefasst:
(a) Inklusive Zusammenarbeit zwischen Staaten und Stakeholdern
(b) Entwicklungsorientierung
(c) Menschenrechte
(d) Geschlechtergleichstellung
(e) Umweltverträglichkeit
(f + g) Gleichberechtigter und inklusiver Zugang zu digitalen Technologien
(h) Interoperabilität
(i) Verantwortung und Sicherheit
(j) Innovation
(k) Multistakeholder-Zusammenarbeit
(l) Partnerschaften mit Entwicklungsländern
(m) Zukunftsorientierung
Im Hauptteil folgt eine konkrete Ausgestaltung der fünf Teilziele sowie die Verpflichtung der Staaten zu konkreten Teilzielen, die bis 2030 umzusetzen sind. Im Rahmen einer am Ende beschriebenen Follow-up- und Review-Strategie sollen Fortschritte bei der Umsetzung nachverfolgt und sichergestellt werden.
Ausblick und Kritik
Positiv aufgefasst wird der Digitalpakt als Bekenntnis zu Medien- und Meinungsfreiheit sowie zum Schutz von Menschenrechten in einer digitalen Zukunft.
Kritisiert wurde bereits im Voraus, dass der Digitalpakt eher unbestimmte Ziele als klare Handlungsanweisungen aufgibt. Dies entspricht auch der Natur des Digitalpaktes, der grundlegende Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung des gesamten digitalen Raumes darstellen soll und somit eher in die Breite geht als exakte Maßnahmen festzulegen. Diese werden letztlich in den Staaten selbst, angepasst an die individuelle Situation, zu bestimmen sein.
Somit kann der Digitalpakt selbst lediglich der erste Schritt sein. Entscheidend für die Umsetzung der gemeinsamen digitalen Vision wird die praktische Umsetzung und somit die Beteiligung der Länder, auch Deutschlands, sein.
Faeser will Abgleich mit Internetbildern
74. DJT diskutiert Zukunft des Zivilprozesses
Nach dem letzten Treffen vor zwei Jahren fand sich Ende September erneut die deutsche Rechtsgemeinschaft zu seiner „Elefantenrunde“ ein. Die rund 2.300 Teilnehmer aus Anwaltschaft, Justiz, Wissenschaft und Ausbildung beschlossen in Stuttgart beim 74. Deutschen Juristentag (DJT) erneut holistische Impulse u.a. zur Zukunft des Zivilrechts.
Das vor Monaten aufbereitete wissenschaftliche Gutachten und die ergänzenden Referate dienten dieses Jahr neben der Diskussion um private Prozessfinanzierungen und dem Handling von Massenverfahren und Verbandsklagen auch der um eine effektive Zivilrechtsdurchsetzung in Zeiten der Digitalisierung und von Legal-Tech-Anbietern, die massenhaft Forderungen in geringer Höhe geltend machen.
Zentrale Anlaufstelle für Rechtssuchende soll ein einheitliches Justizportal mit ersten Informationen werden (siehe dazu auch im nächsten Artikel). In Online-Formulare, die Schriftsätze speisen, sollen die Daten manuell eingegeben werden müssen. Textbaustein-Passagen in solchen Schriftsätzen sollen gesondert vorgelegt werden. Die Kommunikation im Verlauf des Prozesses soll über eine einheitliche Kommunikationsplattform abgewickelt werden. Hierbei sollen Gerichte u.a. bei voraussichtlich mehr als 100 gleichförmigen Klagen pro Jahr verpflichtet werden, eine elektronische Datenschnittstelle zur Übermittlung von Schriftsätzen zur allgemeinen Verwendung bereitzustellen.
Nach der Klageerwiderung soll die Ansetzung eines „umfassend vorbereiteten Termins zur Strukturierung und Erörterung“ möglich werden, der auch digital stattfinden kann. Einen individuellen Anspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung als Videoverhandlung soll es dagegen nicht geben.
Small-claims-Verfahren sollen angepassten Regelungen unterworfen sein, u.a. einer weitgehend digitalen Bearbeitung.
Schalten sich in einen Prozess Legal-Tech-Klageorganisationen ein, sollen diese nur mit behördlicher Erlaubnis arbeiten können. Rechtliche Vorgaben für die Bewerbung der eigenen Dienstleistungen sollen für solche Organisationen und Anwälte angeglichen werden, die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht auf sie ausgedehnt werden. Verstöße gegen verbraucherschützende Vorschriften des RDG sollen für die Wirksamkeit der Inkassozessionen und die Zulässigkeit der Klage aber folgenlos sein.
Es bleibt abzuwarten, ob und wie der Gesetzgeber auf die Beschlüsse reagiert. Der nächste DJT ist für 2026 in Erfurt angesetzt.
Digitaler Zivilprozess
Justiz im digitalen Zeitalter?
Die Justiz in Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Sinkende Verfahrenszahlen, hohe Kosten und lange Bearbeitungszeiten schrecken viele Bürger davon ab, ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und die Justiz bürgernäher zu gestalten, setzt die Politik auf digitale Reformen.
Ab 2025 sollen dafür Zivilverfahren an Amtsgerichten in Deutschland vollständig digital durchgeführt werden können. Diese Initiative zielt darauf ab, den Justizalltag effizienter zu gestalten, Zeit und Kosten zu sparen sowie den Bürgern den Zugang zur Justiz zu erleichtern.
The digitale Prozess umfasst sämtliche Verfahrensschritte – von der Einreichung der Klage bis hin zu (Video-)Verhandlungen und der digitalen Beweisaufnahme. Zusätzliche Informationsangebote und Eingabehilfen sollen den Ablauf für die Beteiligten so einfach und verständlich wie möglich gestalten. Ein wesentlicher Bestandteil der Umstellung ist die Schaffung eines bundeseinheitlichen Justizportals (siehe außerdem das Pilotprojekt zum digitalen Zivilverfahren), das den Zugriff auf die Verfahren zentral bündelt und unterstützt.
Neben einer verbesserten Zugänglichkeit erhofft man sich eine deutliche Reduktion der Kosten: Allein bei den Post- und Scanaufwendungen könnten rund 470.000 Euro eingespart werden. Auch die Richter sollen entlastet werden – das Einsparpotenzial beträgt ca. 8.300 Arbeitsstunden. Um den finanziellen Anreiz für Rechtssuchende zu erhöhen, wird die Verfahrensgebühr im Vergleich zum traditionellen Verfahren um ein Drittel gesenkt.
Das Pilotprojekt ist zunächst auf einige Gerichte und eine Laufzeit von zehn Jahren beschränkt. Eine Evaluation nach vier und acht Jahren soll sicherstellen, dass das Online-Verfahren kontinuierlich verbessert und an die Bedürfnisse der Justiz und der Bürger angepasst wird.
Mit der Digitalisierung entsprechender Zivilprozesse wagt die Justiz einen ersten, zukunftsweisenden Schritt. Sollte sich das Projekt als Erfolg erweisen, muss der Gesetzgeber nachlegen und das digitale Verfahren über die Amtsgerichte hinaus ausweiten.
KI-gestützte Recherche
Beck: Frag den Grüneberg
Die 84. Auflage des Grüneberg BGB, die im Dezember 2024 erscheint, wird eine neue Funktion namens FRAG DEN GRÜNEBERG einführen. Diese Funktion wird als “Chat-Book” beschrieben und ermöglicht es den Benutzern, dem Grüneberg Fragen zu stellen und Dialoge mit ihm zu führen. Dies wird durch KI ermöglicht und soll so eine neue und interaktive Möglichkeit bieten, sich mit dem BGB auseinanderzusetzen.
Dies könnte eine bedeutende Änderung in der Art und Weise darstellen, wie juristische Kommentare genutzt werden, und den Zugang zu Informationen und deren Verständnis für ein breiteres Publikum potenziell verbessern.
Weitere Infos findet ihr hier.
Legal Tech Basics
Grundwissen: AI Governance
Künstliche Intelligenz (KI) ist seit der Veröffentlichung von ChatGPT im Jahr 2020 ein Dauerthema. Damit einhergegangen sind viele neue Herausforderungen, Problematiken und Unterthemen. Eines davon, ein überaus wichtiges und viel diskutiertes, ist AI Governance.
Ganz allgemein: AI Governance ist ein Konstrukt aus Regeln und Standards, um die Entwicklung und den Einsatz von KI sicher, fair und ethisch korrekt zu gestalten.
KI hat in den letzten Jahren einen beeindruckenden Aufstieg erlebt. Sie ist immer stärker, leistungsfähiger und vielseitiger geworden. Damit geht ebenfalls ein immer größerer Einfluss einher: Es beginnt bei der individuellen Auswahl der Kurzvideos beim Scrollen durch TikTok, geht über die Vorauswahl von Jobbewerbungen bis hin zu detailliertem Social Scoring. Eine solche Macht – da sind sich (fast) alle einig – muss unbedingt die Regeln und Werte unserer Gesellschaft beachten.
Die Umsetzung genau dieses Gedankens ist AI Governance. Das beinhaltet auf der einen Seite Restriktionen der jeweiligen Regierungen in Form von Gesetzen (bspw. AI Act, DSGVO, OECD-Richtlinien, Menschen- und Grundrechte) und auf der anderen Seite Regelwerke von den einzelnen KI-entwickelnden oder -anwendenden Organisationen (bspw. firmeninterne Ethikkommissionen oder Guidelines).
AI Governance ist überaus wichtig. Wie oben bereits erwähnt, dient es dem Etablieren eines sicheren, fairen und ethisch korrekten Umgangs mit KI. Dahinter steckt jedoch noch viel mehr: Es soll unter anderem den Nutzern mehr Transparenz in die Funktionsweise der KI ermöglichen und damit das Vertrauen in ebendiese stärken, die Rechenschaftspflicht und Verantwortung von sowohl Entwicklern als auch Nutzern klarer regeln, ein gewisses Level an Kontrolle über die KI und ihre Einsatzbereiche sichern und natürlich den Schutz der Bürger:innen oder Angestellten gewährleisten.
Vor allem für Regierungen ist dies jedoch eine große Herausforderung: Eine gute Balance zu finden, mit der sowohl die Bürger:innen in ihren Rechten geschützt, als auch der Wirtschaft gute Entwicklungschancen geboten werden, ist sehr schwer. Insbesondere auch, weil es sich bei AI Governance um ein komplexes und dynamisches Feld handelt, das kontinuierlich weiterentwickelt werden muss, um den rasanten Fortschritten der KI-Technologie gerecht zu werden.
Und dennoch ist es von entscheidender Bedeutung, dass klare, transparente Richtlinien etabliert werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Herausforderungen, die mit der KI-Implementation einhergehen, auf eine unseren Werten entsprechende Art und Weise bewältigt werden können.
Veranstaltungs-Tipp
recode.talks mit Prof’in. Dr. Marie Herberger, LL.M.
Am 10.10. um 19 Uhr freuen wir uns auf das nächste recode.talks mit Prof. Dr. Marie Herberger, LL.M. von der Universität Bielefeld.
Mit ihrer Expertise im Bereich Legal Tech und ihrem Lehrstuhl an der Uni Bielefeld haben wir spannende Themen im Gepäck. Neben Legal Tech werden wir auch über ihren beeindruckenden Werdegang und ihren Blog klartext-jura sprechen.
Wie immer sind eure Fragen und Anregungen herzlich willkommen!
Seid dabei!
Die Zugangsdaten:
https://us06web.zoom.us/j/84301162974?pwd=bO1hXy2X9Xtb1Kob3d7bkhMt94sZrp.1
Meeting-ID: 843 0116 2974
Kenncode: 429045
Veranstaltungs-Tipp
Workshop mit Bird & Bird
Du möchtest Deine praktischen Fähigkeiten weiterentwickeln? Dann ist der anstehende recode x Bird&Bird Workshop genau das Richtige für Dich! Erfahre, wie Künstliche Intelligenz, von ChatGPT bis hin zu speziellen juristischen Tools, die Kanzlei-Arbeit und Deinen Alltag revolutionieren kann. Am 24.10.2024 laden wir Dich ab 12 Uhr dafür zu unserer Partnerkanzlei Bird & Bird in Frankfurt ein – inklusive Networking-Abendveranstaltung und Verpflegung. Melde Dich bis zum 16.10.2024 und sei dabei!
Last Updated on 4. October 2024