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Innovation trifft auf Recht: Wie Legal Design die Rechtsbranche verändert

In einer Zeit, in der die Digitalisierung und technologische Entwicklungen unser Leben und die Art und Weise, wie wir arbeiten, grundlegend verändern, ist es keine Überraschung, dass auch das Rechtswesen einem Wandel unterliegt. Teil dieses Wandels ist das immer stärker in den Fokus rückende Thema Legal Design.

Doch was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff?
Und welche Chancen und Herausforderungen bringt Legal Design für (angehende) Jurist:innen, Rechtssuchende und die Justiz insgesamt mit sich?

In diesem Interview werden wir mit zwei ausgewiesenen Expertinnen für Legal Design sprechen, um tiefere Einblicke in diese aufstrebende Disziplin zu erhalten:

Anna Balmes – Volljuristin und Innovation Consultant bei der bundesweit tätigen Beratungsagentur für Kanzleien und Inhouse Departments This is Legal Design sowie Legal Designerin bei der ARAG SE.

Dr. Ann-Cathrin Brock – Rechtsanwältin bei der mittelständischen Wirtschaftskanzlei GvW Graf von Westphalen am Hamburger Standort und Legal Designerin.

 

recode.law: Frau Balmes, Sie haben täglich mit Legal Design zu tun, doch was ist unter dem Begriff Legal Design überhaupt zu verstehen?

 

Balmes: Legal Design im engeren Sinne ist die methodische Anwendung von Design Thinking – also der Arbeitsweise von Designer:innen – auf rechtliche Probleme und Fragestellungen. Bei This is Legal Design verstehen wir darunter aber auch andere agile Arbeitsmethoden. Wir bedienen uns in der Beratung an verschiedenen Ansätzen, um Innovation im Rechtsbereich zu begleiten. Eines haben aber all diese Methoden gemeinsam – und zwar, dass Nutzer:innen und menschliche Bedürfnisse aller Stakeholder:innen stets im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehen.

 

recode.law: Welche Vorteile bietet Legal Design dabei im Vergleich zur traditionellen juristischen Arbeit und wie können Unternehmen und Anwaltskanzleien davon profitieren?

Dr. Brock:    Legal Design-Methoden und -Prozesse helfen uns, unser Angebot an Rechtsdienstleistungen und Rechtsprodukten aus der Mandant:innenperspektive flexibler zu optimieren. Sie werden rechtssicher gestaltet, aber ermöglichen auch einfache und reibungslose Abläufe für unsere Mandantschaft. Darüber hinaus bietet uns das Skill-Set von Designer:innen eine ganze Reihe nützlicher Instrumente, um den neuen Anforderungen an juristische Informationen gerecht zu werden.

Flexibel an Veränderungen anpassen, mit neuen Angeboten Schritt halten und innovatives Potenzial nutzen, um neue, aber jedenfalls bessere Dienstleistungen und im besten Fall vielleicht sogar neue Geschäftsmodelle zu entwickeln – dies alles wird durch Legal Design gefördert.

Balmes:        Flexibilität ist ein gutes Stichwort – im Zuge der Digitalisierung verändern sich alle Branchen rasant, und dies gilt selbstverständlich ebenso für die Rechtsbranche; auch, wenn ich manchmal das Gefühl habe, dass das außerhalb der Legal Tech Bubble immer noch nicht ganz bei Allen angekommen ist. Ich spüre da aber trotzdem gerade einen gewissen Umschwung und finde das sehr spannend!

Legal Design als Methode ist hervorragend dazu geeignet, Innovation und Transformation im Rechtsbereich zu schaffen und zu begleiten. Bei allen Unterschieden zur klassisch juristischen Arbeitsweise sehe ich aber auch viele Gemeinsamkeiten – Design Thinking als Prozess ist im Kern nichts anderes als eine strukturierte Herangehensweise an Probleme. Nur, wenn man sich an den Prozess hält und keine Schritte überspringt oder vernachlässigt, gelangt man nach meiner Erfahrung zu einer hervorragenden Lösung – das ist also gar nicht mal so anders als etwa beim Verfassen eines Urteils oder Memorandums. Umgekehrt sagt man Jurist:innen ja nach, dass sie nicht kreativ seien – das stimmt allerdings aus meiner Sicht ebenso wenig wie die Annahme, dass Legal Design sich lediglich aus bunten Zetteln und kreativem Chaos speist. Gute Anwält:innen etwa sind doch gerade diejenigen, die neue – also: kreative und innovative – Ansätze und Argumente für juristische Problemstellungen finden, und dies im Sinne ihrer Mandant:innen, also nutzerzentriert.

Dennoch ist die Methode und der nutzergerichtete Blick für Jurist:innen erfahrungsgemäß erst einmal ungewohnt. Der entscheidende Vorteil für Unternehmen und Anwaltskanzleien liegt darin, dass mittels Legal Design innerhalb kürzester Zeit bedarfsgerechte Ergebnisse erzielt werden können, die Nutzerbedürfnisse erfüllen und somit nachgefragt werden.

 

recode.law: Frau Dr. Brock, Sie arbeiten als Rechtsanwältin und Legal Designerin in einer renommierten Kanzlei. Welche Anwendungsmöglichkeiten sehen Sie für den Kanzlei-Alltag und was denken Sie, wie verbreitet die Legal Design Kenntnisse in den Kanzleien sind?

 

Dr. Brock: Ziel sind rechtlich einwandfreie Lösungen, orientiert am Wissens- und Handlungsbedarf der Nutzer:innen. Legal Design soll das Recht und die Ergebnisse rechtlicher Fragestellungen und Aufgaben zugänglicher machen. Hierfür arbeitet das Legal Design Team interdisziplinär und bindet Mitarbeitende aus allen Abteilungen ein, die die juristische Dienstleistung verbessern können.

 

In Kanzleien gibt es eine Vielzahl denkbarer Anwendungsmöglichkeiten – von der Entwicklung und Implementierung nutzer:innenzentrierter, innovativer Prozesse, Tools und Services über die Gestaltung von juristischen Texten, Inhalten und Verträgen, bis hin zur Entwicklung neuer, digitaler Rechtsprodukte und Services. Mit Legal Design kann praktisch jeder Sachverhalt, mit dem eine Kanzlei in Berührung kommt, überdacht und weiterentwickelt werden. Ein gängiges Beispiel ist die Vereinfachung von Vertragswerken, die in ihrer Komplexität so ziemlich jeder und jedem über den Kopf wachsen zu drohen. Aber mit Legal Design können wir auch Prozesse, in denen die Kanzlei Hand in Hand und möglichst reibungslos mit ihrer Mandantschaft zusammenarbeitet, verbessern und neu gestalten.

 

Aktuell agieren Legal Designer:innnen überwiegend noch als externe Berater:innen. Fest verankert sind Legal Design Funktionen in juristischen Organisationen bisher selten. Das Thema steckt (leider) noch in den Kinderschuhen. Aber ich bin fest überzeugt, dass sich das in Zukunft ändern wird, um bislang (zu) wenig genutzte Potenziale, die unser Fachgebiet bietet, sichtbar zu machen.

 

recode.law: Frau Balmes, können Sie diesen Eindruck und die Prognose bestätigen? Für wie verbreitet halten Sie mögliche Kenntnisse zum Thema Legal Design bei Anwälten?

Balmes:        Für nicht verbreitet genug – leider. Klar, mittlerweile haben Einige schon einmal von dem Begriff gehört oder uns sogar bereits im Rahmen der Beratung, Projektarbeit oder von Workshops kennengelernt – aber hinsichtlich tiefgehender Kenntnisse über Legal Design besteht noch Luft nach oben. Bei Legal Design denken viele Anwält:innen immer noch an bunte Bildchen und trendige Buzzwords, hinter denen sich wenig Inhalt verbirgt. Vom Gegenteil überzeugt man sie dann erst in der direkten Zusammenarbeit. Ziemlich schade eigentlich, denn ich meine, dass die Rechtsbranche von mehr Offenheit gegenüber der Methode immens profitieren könnte und diese auch benötigt, um international mithalten zu können. Nach meinem Gefühl findet langsam aber sicher auch hier in Deutschland ein Umdenken statt – das sieht man ja bereits daran, dass Frau Dr. Brock Legal Design in Ihrem Arbeitsalltag in einer Großkanzlei anwendet. Das wäre vor ein paar Jahren wahrscheinlich noch nicht denkbar gewesen.

recode.law: Frau Dr. Brock, welche Prozesse und Methoden setzen Sie in der täglichen anwaltlichen Arbeit ein?

 

Dr. Brock:    Wir setzen Legal Design-Methoden und -Prozesse z.B. ein, um Abläufe, Prozesse und Standards nutzer:innenzentrierter zu gestalten – dies betrifft sowohl die interne als auch die externe Komponente. Unser aktuellstes Legal Design Projekt widmet sich z.B. der Optimierung kanzleiinterner Abläufe und Dienstleistungen für unsere Mandantschaft im Rahmen des Projektmanagements in Planfeststellungsverfahren. Legal Design Thinking bildet hier das perfekte Werkzeug, um den komplexen Projektmanagementprozess in Planfeststellungsverfahren für unsere Mandantschaft und für uns in einfache Strukturen herunterzubrechen und Ansatzpunkte für die Standardisierung und Automatisierung zu finden – alles aus dem Blickwinkel der Nutzer:innen, also uns als Kanzlei und unserer Mandantschaft.

Darüber hinaus entwickeln wir mit der Legal Design Thinking-Methode das Leitbild unserer Kanzlei weiter. Um die Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden im beruflichen Kontext zu verstehen und die Werte zu ermitteln, die alle Kolleg:innen teilen und diese dann auch in dem Leitbild abzubilden, bestand die erste Phase des Projekts in einem umfassenden Nutzer:innenresearch.

 

recode.law: Dabei arbeiten Sie auch eng mit Ihrer Mandantschaft zusammen. Kommt es auch vor, dass diese konkrete Anforderungen zur Vereinfachung bzw. Veranschaulichung von Rechtstexten an Sie stellen?

 

Dr. Brock:    Ja, wir sehen, dass sich durch die fortschreitende Digitalisierung auch die visuellen Erwartungen unserer Mandantschaft und die Art und Weise, wie Informationen und Inhalte erlebt werden, verändern. Juristische Informationen sollen in Zukunft ebenso wie viele andere Bereiche unseres (Privat-)Lebens bestenfalls „in die Tasche“ passen und ständig verfügbar sein. Ein Ausschnitt hiervon sind gut und schnell verständliche Rechtstexte. Ob die Verwendung von Icons die Nutzer:innen erreicht, ist Frage des Einzelfalls – und der Ergebnisse des Design Thinking-Prozesses. Es kann auch eine Umformulierung im Frage-Antwort-Stil sein oder eine Zusammenfassung in Form eines One Pagers zu Beginn des Vertragswerkes. Oder wir lösen uns insgesamt vom gängigen Papier-/PDF-Stil und entwickeln neue digitale Vertragswerke. Der Design Thinking-Prozess soll Offenheit für Veränderung schaffen, die Mandant:innen dann auch wirklich dient.

recode.law: Wie kann Legal Design konkret dazu beitragen, komplexe juristische Sachverhalte verständlicher und zugänglicher zu machen?

Dr. Brock:    Das hängt immer vom Einzelfall ab: Um welche Sachverhalte geht es, wer kommt mit den Arbeitsergebnissen wie in Berührung oder was soll erreicht werden. Komplexe juristische Sachverhalte können z.B. durch visuelle Elemente wie Infografiken und Icons, durch die Nutzung einfacher Sprache oder durch intuitive Benutzung – ob analog oder digital – verständlicher und zugänglicher gemacht werden.

 

Balmes:        Richtig, das hängt ganz vom Kommunikationsziel und Publikum ab. Eines haben aber alle Legal Design Projekte gemeinsam: Wir überlegen uns Lösungen nicht „im stillen Kämmerlein“, sondern validieren diese von Beginn an, und zwar empirisch. Dies ist in anderen, auch ähnlich komplexen Branchen längst der Goldstandard; Jurist:innen meinen aber manchmal, dass sie ohnehin bereits alles wissen, auch über Ihre Klient:innen und deren Bedürfnisse. Wir sind dank unserer Ausbildung naturgemäß „Besserwisser“ und können fast nicht anders, da nehme ich mich selbst gar nicht aus – nutzergerechte, intuitiv bedienbare und zugängliche Lösungen schafft man so aber nicht unbedingt immer.

recode.law: Welche Rolle spielen denn Visualisierungen im Legal Design und wie können sie dabei helfen, rechtliche Informationen effektiver zu kommunizieren?

 

Dr. Brock:    Durch visuelle Elemente und Grafiken können komplexe juristische Inhalte klarer und verständlicher kommuniziert werden. Es gibt einen sog. readability index, mit dem gemessen werden kann, wie gut ein Text lesbar und wie verständlich er ist. Visualisierungen heben die Lesbarkeit fast immer auf ein höheres Level, sei es durch Flowcharts, Tabellen, Verbindungslinien oder die schon angesprochenen Icons. Die Visualisierung unterstützt eine effektivere Kommunikation und kann dabei helfen, juristische Werke – Verträge, Memos, ggf. sogar Gesetze – nutzer:innenfreundlicher zu gestalten. Hierdurch wird wiederum die Zugänglichkeit und Transparenz des Rechts gesteigert.

Balmes:        Genau, Visualisierungen können rechtliche Informationen empfängergerecht vermitteln. Sie sind aber nur kleiner Teilbereich von Legal Design – es geht gerade nicht nur um Übersichtlichkeit und Ästhetik oder gar um einen hübsch anzuschauenden Vertrag mit bunten Icons. Es geht darum, anwenderfreundliche Lösungen für juristische Probleme zu entwickeln, die in ihrer Einfachheit genial sein können, weil sie auch tatsächlich genutzt werden.

recode.law: Legal Design kann also mehr erreichen, als “nur” komplizierte und juristisch anspruchsvolle Texte für “Laien” verständlicher, lesbarer oder übersichtlicher darzustellen?

 

Dr. Brock: Ja, absolut. Legal Design steht zwar auch für Vereinfachung komplexer, juristischer Dokumente, ist aber in seiner Gesamtheit sehr viel facettenreicher. Legal Design beinhaltet weitaus mehr (Design-) Methoden, um die Nutzer:innenperspektive in einen Innovationsprozess zu integrieren. Unter diesem Set an Methoden und Tools für Innovation ist z.B. Legal Design Thinking ein wichtiger Bestandteil. Gemeint ist damit die Anwendung der sog. Design Thinking-Methode im Rechtsbereich. Es handelt sich um eine systematische Herangehensweise an komplexe Problemstellungen, bei der die Nutzer:innenwünsche und -bedürfnisse sowie das nutzer:innenorientierte Erfinden im Zentrum des Innovationsprozesses steht. Design Thinker:innen schauen sowohl bei der Problemermittlung als auch bei der Problemlösung durch die Brille der Nutzer:innen.

 

Legal Design steht also für verschiedene Lösungsmethoden, für eine Denkweise, eine Fähigkeit und einen Prozess und bietet dem Rechtsmarkt einen neuen Denkrahmen mit wertvollen Werkzeugen, mit denen sich ganzheitliche und nachhaltige Lösungen erarbeiten lassen. Sie dienen dazu, im Rechtsbereich zu gestalten – und zwar nicht nur visuell!

Balmes:        Es ist tatsächlich ein häufiges Missverständnis, dass der Kern von Legal Design das „Aufhübschen“ juristischer Dokumente sei und lediglich aus Visualisierungen besteht. Dabei sind Visualisierungen zwar oftmals ein wichtiger Bestandteil effektiver Kommunikation, aber eben nicht der einzige Faktor.

Ein über die Gestaltung juristischer Dokumente hinausgehendes Beispiel, das die Schlagkraft von Visualisierungen zeigt, können zum Beispiel Legal Dashboards für Rechtsabteilungen sein, auf denen KPIs für die Rechtsabteilung visuell dargestellt und Faktoren wie Auslastung, Budget und Vertragsmanagement auf einen Blick sichtbar gemacht werden können. Denkbar ist insofern z.B. auch ein Justice Dashboard, in dem gerichtliche Daten visuell aufbereitet und somit auswertbar und zugänglicher gemacht werden – so wie z.B. hier: https://dashboard.hiil.org/. Überhaupt ist „Zugänglichkeit“ ein wichtiges Stichwort im Zusammenhang mit Legal Design – es geht im Kern immer um die Zugänglichkeit und Auffindbarkeit juristischer Informationen, letztlich also um nicht weniger als den vielseits diskutierten Zugang zum Recht. Auch Barrierefreiheit spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle.

recode.law: Wie kann in Projekten sichergestellt werden, dass die Anwendung von Legal Design die rechtliche Integrität von Dokumenten und Prozessen nicht beeinträchtigt?

Balmes:        Unser Team bei This is Legal Design besteht zu einem überwiegenden Teil aus Juristinnen. Das macht uns Legal Designer:innen ja gerade aus – wir haben juristische und gestalterische Kenntnisse. Das Recht ist also der Rahmen, in dem ich mich mit gutem Design bewegen kann.

Man muss etwas darüber hinaus nicht unästhetisch gestalten oder kompliziert ausdrücken, damit es rechtssicher ist; ganz im Gegenteil. Eine verständliche Ausdrucksweise ist im Gesetz oft sogar vorgeschrieben, z.B. in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Da ist von klarer und verständlicher Sprache die Rede – ansonsten: unangemessene Benachteiligung. In dem Zusammenhang höre ich oft, das sei ja alles nicht so gemeint und der Zweck von AGB sei doch nicht, verstanden zu werden. Es steht aber wörtlich so im Gesetz, gelebte Praxis hin oder her. Mir fällt auch keine juristische Auslegungsmethode ein, mit der „klar und verständlich“ plötzlich „verklausuliert und unübersichtlich“ bedeuten würde. Der Spagat zwischen nutzerfreundlicher Kommunikation und Rechtssicherheit kann durchaus gelingen, wenn man denn möchte; es handelt sich dabei letztlich auch immer um eine Risikoabwägung.

recode.law: Wie können Sie in der Praxis sicherstellen, dass die Anwendung von Legal Design dazu beiträgt, die Effektivität und Effizienz von juristischen Prozessen zu verbessern?

 

Dr. Brock:    Legal Design fordert eine stetige Rückkopplung zwischen den Entwickelnden einer Lösung und ihrer Nutzer:innen. Legal Designer:innen stellen den Nutzer:innen Fragen und nehmen ihre Abläufe und Verhaltensweisen genau unter die Lupe. Lösungen und Ideen werden in Form von Prototypen möglichst früh sichtbar und kommunizierbar gemacht, damit potentielle Nutzer:innen sie – noch lange vor der Implementierung – testen und ein Feedback abgeben können. Auf diese Weise erzeugt Legal Design nutzer:innenzentrierte – nachhaltige – Ergebnisse. Und mit Legal Design Thinking hinterfragt man sich stets selbst, um auch weiterhin die innovativste Lösung bereit zu halten.

Balmes:        Der stetige Austausch zwischen Entwickelnden und Nutzer:innen ist in der Tat der Kern der Methode, ebenso wie die stetige Beschäftigung mit dem Problem, das es zu lösen gilt. Wir unterteilen den Design Thinking Prozess allgemein in einen „Problem Space“ und einen „Solution Space“. In Bezug auf juristische Prozesse bedeutet dies, dass wir erst einmal dahin gehen, wo der Schmerz sitzt – wir beleuchten demnach den Ist-Prozess erst einmal ganz ausführlich und schauen nach Pain Points, Medienbrüchen und Unklarheiten. Erst, wenn wir die Probleme des Ist-Prozesses aus der Brille der verschiedenen Beteiligten genau analysiert und verstanden haben, gestalten wir einen neuen Soll-Prozess – je nach Nutzerbedarf ist dieser dann schneller, unkomplizierter, verständlicher usw., da wir nicht sofort auf die „Lösung“ springen, sondern da ansetzen, wo es „wehtut“ – also passgenaue Lösungsansätze für die Stellen entwickeln, an denen sie wirklich benötigt werden.

recode.law: Sollte die Vermittlung von Kenntnissen zu Legal Design Teil der juristischen Ausbildung werden?

 

Dr. Brock: Ja, absolut. Die Ausbildung von Legal Designer:innen sollte institutionalisiert werden, um den Zugang zu der Vielfalt der oben beschriebenen Fähigkeiten überhaupt erst zu ermöglichen. Dazu gehört aus meiner Sicht einerseits die Öffnung der juristischen Ausbildung für andere Fachbereiche – sei es die Fähigkeit zu programmieren, (grafisch) zu gestalten oder (Kanzlei-) Prozesse frühzeitig zu verstehen und zu optimieren. Wenn schon die Ausbildung interdisziplinärer angelegt ist, würde dies den Austausch zwischen den Fachgebieten deutlich erleichtern. Andererseits können (Grund-) Kenntnisse im Design Thinking die Beantwortung fast jeder Anfrage von Mandant:innen verbessern.

 

recode.law: Können Sie dem zustimmen, Frau Balmes?

Balmes:        Ja, unbedingt. Wir haben kürzlich zwei Workshops mit Studierenden der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) sowie der Universität zu Köln in Kollaboration mit dem Legal Tech Lab Cologne durchgeführt. Aufgrund des positiven Feedbacks der Studierenden wurde deutlich, wie sehr ein kreativer Blick über den juristischen Tellerrand nicht nur benötigt, sondern auch vom juristischen Nachwuchs erwünscht ist! Ich würde mir aufgrund meiner eigenen Erfahrungen aus Studium und Referendariat wünschen, dass Methoden wie Legal Design – aber auch andere innovative und agile Herangehensweisen sowie das Thema Legal Tech – vermehrt Teil der kernjuristischen Ausbildung werden, was aus meiner Sicht aber auch immer mehr der Fall ist. Seit ich studiert habe, hat sich da auf jeden Fall bereits sehr viel getan und ich finde es toll, dass solche Module wie an der HU und der Uni Köln mittlerweile angeboten werden!

recode.law: Es ist gut zu hören, dass bereits erste Verbesserungen in der Ausbildung anzulaufen scheinen.  Haben Sie für (angehende) Jurist:innen Empfehlungen für einen ersten Einstieg in das Thema Legal Design?

 

Dr. Brock:    Für den Einstieg kann ich das Buch von Astrid Kohlmeier und Meera Klemola empfehlen. Nicht nur die Farbe des Buches ist ein echter Eyecatcher im Buchregal. Das Buch gibt einen super Einblick in die Praxis einer Legal Designerin, erklärt das Skillset Legal Design, wie und warum man damit arbeiten sollte und was man damit konkret verändern kann. Es hält auch praktische Anwendungsbeispiele bereit, die online abrufbar sind, um sich einen Eindruck zu verschaffen, welche Ergebnisse Legal Design schon erzielt hat.

Balmes:        Das Legal Design Buch ist auf jeden Fall eine Leseempfehlung! Für einen schnellen Einstieg ins Thema kann ich noch folgende Artikel empfehlen:

Legal Design: So gelingt Legal Tech“ von Lina Krawietz (https://legal-tech.de/legal-design/) und

„Was sie über Legal Design wissen sollten und warum es das neue Schwarz ist“ von Marion Ehmann (https://www.soldan.de/insights/was-sie-ueber-legal-design-wissen-sollten-und-warum-es-das-neue-schwarz-ist/).

Gut eignet sich hierfür auch ein Workshop mit uns – denn Legal Design muss man hautnah erleben und den Prozess einmal selbst durchlaufen haben, um wirklich zu verstehen, wie schnell man hiermit zu nutzergerechten Ergebnissen gelangt.

 

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