Im Rahmen einer Interviewreihe wollen wir hinter die Kulissen unserer Sponsoringpartner schauen. Wie sieht es bei Ihnen aus – wie digital ist die Arbeitswelt und Einstellung bei Ihnen intern? Wir haben uns getroffen, telefoniert und geschrieben, um diese Frage zu beantworten und zu besprechen.
Wir haben Dr. Nikolai Warneke, Partner bei Noerr in Frankfurt im Bereich Banking & Finance, und Frédéric Kuhn, Senior Associate bei Noerr in Düsseldorf im Bereich Compliance & Interne Untersuchungen getroffen. Das Interview wurde geführt durch Mika Hellmuth.
recode.law: Wie geht ihr das Thema Legal Tech als Kanzlei an? Wer beschäftigt sich bei euch mit dem Bereich?
Warneke und Kuhn: Schwerpunktmäßig beschäftigen sich bei uns ca. 10 Mitarbeiter mit dem Thema Legal Tech. Dieses Legal Tech „Kern-Team“ besteht vorwiegend aus IT‘lern und wird ergänzt durch ca. 20 weitere Berater. Die Berater sind als sog. „Legal Tech Ambassadors“ die Ansprechpartner in den jeweiligen Praxisgruppen für das Thema Legal Tech. Diese Ambassadors, die sich insbesondere für den Einsatz von Legal Tech in ihren speziellen Fachbereichen interessieren, also zum Beispiel in einem gesellschafts- oder arbeitsrechtlichen Kontext, fungieren als Schnittstelle. Sie kommunizieren in die einzelnen Fachbereiche die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Kanzlei im Bereich Legal Tech und kommunizieren gegenüber dem Legal Tech „Kern-Team“, spezieller den ITlern, in welchem Fachbereichen welche konkreten Bedürfnisse nach Legal Tech-Lösungen bestehen und wie eine konkrete Umsetzung aussehen könnte.
recode.law: Habt ihr da ein konkretes Beispiel für uns?
Warneke und Kuhn: Ein Fachbereich, der sich bei uns schon länger stark mit Legal Tech auseinandersetzt, ist der Fachbereich Arbeitsrecht. Noerr hat hier ein eigenes Tool entwickelt, den „Noerr Contractor Compliance Check“. Die Initiative für dieses Tool, das die automatisierte Überprüfung des Fremdpersonaleinsatzes in Unternehmen unter Compliance-Gesichtspunkten ermöglicht, stammt aus dem Fachbereich Arbeitsrecht und wurde mit Unterstützung durch das Legal Tech Team dann technisch umgesetzt.
Während es sich dabei um ein Tool handelt, das Mandanten kaufen und im Unternehmen anwenden können, gibt es auch Tools, die uns rein intern bei der Arbeit unterstützen. Als Beispiel kann hier unser Fristentool genannt werden, welches vor allem im Litigation-Bereich Anwendung findet. In diesem Tool verwalten wir seit einigen Jahren alle für die Prozessführung relevanten Fristen rein digital. Das klingt erst mal nach keiner großen Sache, war aber intern ein Riesenschritt. Für die Führung eines Fristenbuches gibt es von der Rechtsprechung ganz klare Vorgaben, wie dieses auszusehen hat, um in Zweifelsfällen als Entlastungsbeweis dienen zu können. Aufgrund dieser enormen Relevanz muss da wirklich von der ersten Sekunde an alles perfekt funktionieren, gerade auch in der Übergangsphase. Hier sieht man sehr gut, dass der Einsatz von Legal Tech Tools oft zwei Seiten hat. Zum einen stellt der Einsatz eine große Chance und Arbeitserleichterung dar, zum anderen ist aber auch die sorgfältige Anlegung und Überwachung enorm wichtig.
recode.law: Wo wir beim Thema zweischneidig sind: Als eines der klassischen Bedenken gegen den Einsatz von Legal Tech Lösungen wird oft die angebliche Befürchtung von Anwälten genannt, dass Ihnen dieser die Arbeit wegnehmen könnte. Gerade bei Tools, die den Mandanten direkt zur Verfügung gestellt werden, wie zum Beispiel der Noerr Contractor Compliance Check ist diese Befürchtung auf den ersten Blick ja auch nicht ganz fernliegend. Wie seht ihr das? Teilt ihr diese Bedenken?
Kuhn: Die Diskussion in diesem Bereich dreht sich ja oft um die Frage, ob Legal Tech irgendwann die Anwaltschaft ersetzen wird. In manchen Bereichen, insbesondere im Verbraucherschutzrecht, wie zum Beispiel den ganzen Fluggastrechtfällen oder anderen Massenverfahren, werden Legal Tech-Lösungen zunehmend massiven Einfluss auf die Kanzleibranche haben und können den klassischen Rechtsanwalt sicherlich teilweise ersetzen. Das ist deshalb der Fall, weil alle diese Fälle auf Sachverhaltsebene sehr ähnlich sind und sowohl rechtlich als auch prozessual immer nach einem ähnlichen Schema ablaufen.
Es gibt aber auch Rechtsbereiche, die sich auf einem so hoch spezialisierten Niveau befinden, dass ein „Ersetzen“ der anwaltlichen Tätigkeit hier meiner Meinung überhaupt nicht möglich ist. Genau in diesen Bereichen sind wir als Großkanzlei ganz überwiegend tätig. Auch hier gibt es dann ein paar Stellen im Beratungsablauf, an welchen Legal Tech-Lösungen unterstützend zur Anwendung kommen und diese Möglichkeit nutzen wir bei Noerr auch intensiv. Die Beratung verändert sich dadurch zu einem gewissen Grad und wird an vielen Stellen effizienter. Gerade deshalb hat man dann aber auch die Zeit, sich mit den tieferen juristischen Problemen des Einzelfalls noch intensiver zu beschäftigen, was Mandanten aufgrund der technischen Entwicklung dann auch erwarten.
Warneke: Ich sehe das ganz ähnlich. Zum einen sind die Bereiche, die durch Legal Tech Tools ersetzt werden können, dann auch oft Bereiche, auf die man als Anwalt selbst eher wenig Lust hat und ganz froh ist, dass einem die Arbeit hier abgenommen wird. Zum anderen wird von denen, die die Befürchtung äußern, Legal Tech würde den Anwalt ersetzen, oft übersehen, dass viele dieser Bereiche früher in der rechtlichen Beratung überhaupt nicht existiert haben. Zum Beispiel bei den Fluggastrechtefällen hat sich eine rechtliche Beratung aufgrund der niedrigen Beträge vor dem Einsatz von Legal Tech oft gar nicht gelohnt. Im Arbeitsbereich einer Großkanzlei betrifft das zum Beispiel die Due Diligence, die früher in dem Umfang wie wir sie heute aufgrund der Unterstützung durch Legal Tech Tools durchführen können, gar nicht möglich war. Legal Tech verändert dadurch vielmehr die juristische Arbeit und macht sie effizienter. Dadurch zwingt uns Legal Tech auch dazu, immer wieder darüber nachzudenken, ob unsere internen Workflows noch effizient, adäquat und angemessen sind, was uns am Ende zu besseren Beratern und Anwälten macht.
Zu guter Letzt schafft Legal Tech auch ganz neue Beratungsfelder, man denke an das sehr beratungsintensive Datenschutzrecht oder die juristischen Probleme im Bereich KI.
recode.law: Laut der “Future Ready Lawyer” Studie von Wolters Kluwer halten rund die Hälfte aller Kanzleien mangelndes technologisches Wissen, Verständnis und Fähigkeiten für den größten Widerstand gegenüber neuen Technologien. Könnt ihr diese Beobachtung bestätigen? Wie wird das Problem bei Euch angegangen?
Warneke: Auch wir sehen das Problem. Bei fast jeder neuen Entwicklung gibt es gewisse „Beharrungskräfte“ und Leute, die dem erst mal skeptisch gegenüber eingestellt sind. Unsere Strategie ist es hier, gezielt mit denen voranzugehen und diejenigen zu motivieren, die Lust darauf haben, mitzumachen und etwas zu verändern. Anhand der dadurch entstehenden positiven Beispiele wie dem oben erwähnten „Contractor Compliance Check“, der in der Branche regen Anklang findet, können wir dann intern konkret die Möglichkeiten und Chancen aufzeigen und dadurch auch noch eher Skeptischere motivieren.
Kuhn: Wir haben intern wirklich eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten und Formaten, um den Interessierten den Zugang zu erleichtern und eine Weiterbildung zu ermöglichen. Neben den eher klassischen Möglichkeiten wie Workshops, Webinaren und E-Learning zum Thema Legal Tech haben wir für Mitarbeiter, die sich besonders dafür interessieren, im vorletzten Jahr die „Legal Innovation Academy“ ins Leben gerufen. Hier bieten wir vertiefende Workshops zu den Möglichkeiten von Legal Tech an und erarbeiten in Kleingruppen, in welchen Bereichen unserer Arbeit wir diese zum Einsatz bringen können. Darüber hinaus laden wir zum Beispiel im Format „Legal Tech High Tea“ externe Gesprächspartner aus ganz unterschiedlichen Branchen ein, die dann vorstellen, wie bei Ihnen mit Legal Tech umgegangen wird. Dieser vernetzte Ansatz bietet dann nochmals eine ganz andere Perspektive.
recode.law: Legal Tech kann auch in die Ausbildung einbezogen werden, beispielsweise im Schwerpunktstudium oder einem L.L.M. Braucht man die Kenntnisse mittlerweile für den Beruf oder ist das eher Learning by Doing?
Kuhn: Wenn die Möglichkeit besteht, sich mit dem Bereich schon im Studium zu beschäftigen, ist das meiner Meinung nach auf jeden Fall etwas, dass man nutzen sollte. Das Thema wird immer wichtiger und man kommt im Berufsleben zwangsläufig damit in Berührung.
Warneke: Ich würde das Ganze sogar noch etwas breiter betrachten. Meine Erfahrung aus den letzten Jahren ist es, dass eine der wichtigsten Kernkompetenzen überhaupt ist, als Experte auf einem Gebiet, wie wir als Anwälte es im juristischen Bereich sind, mit Experten auf anderen Gebieten konstruktiv zusammen arbeiten zu können. Dieses interdisziplinäre Arbeiten wird immer wichtiger und ist meiner Meinung nach auch einfach eine Übungssache. Möglich ist das aber nur, wenn man sich ein gewisses Grundverständnis für die Arbeitsweise von Experten auf anderen Gebieten aneignet. Hier ist es auf jeden Fall sinnvoll, sich mit Legal Tech zu beschäftigen, gerne auch schon im Studium, da das eine der heute relevantesten Verbindungen zwischen verschiedenen Disziplinen darstellt. Die Beschäftigung mit solchen interdisziplinären Bereichen hilft einem nebenbei dann auch oft unterbewusst, sein eigenes Fachgebiet noch besser zu verstehen, da man mit ganz anderen Fragen konfrontiert wird.
Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB
Standorte: 15 weltweit, davon 6 in Deutschland
Anzahl der Berater:innen: 500+ (1100 Mitarbeiter:innen)
Praxisgruppen: in allen Bereichen des Wirtschaftsrechts
Last Updated on 4. Juli 2023