NewLaw Radar 68/23 – KI im Rampenlicht: Neue Patentrechte und KI-Erfinder DABUS

Editor’s Ramble #68

Unsere heutige Ausgabe wirft einen Blick auf die Kreuzung von Künstlicher Intelligenz (KI), Recht und E-Learning.
Wir starten mit einer kontroversen Frage: Kann eine KI formell als Erfinder eines Patents fungieren? Die Diskussion um DABUS, die KI von Dr. Stephen Thaler, wirft nicht nur rechtliche, sondern auch ethische Fragen auf. Begleite uns auf eine Reise durch internationale Patentanmeldungen und Gerichtsverfahren, während wir die Antwort darauf suchen, ob eine KI als Erfinder anerkannt werden kann.

Im Anschluss tauchen wir in die Welt der Juristen-Dokumentenfluten ein. Deine Arbeit als Jurist ist bekanntlich dokumentenlastig, doch wie kann KI dabei helfen? Casetext Inc. hat mit CoCouncil eine bahnbrechende Lösung geschaffen, die nicht nur Zeit, sondern auch Kosten spart. Erfahre, wie diese Software komplexe juristische Aufgaben auf menschlichem Level, aber mit übermenschlicher Geschwindigkeit bewältigt. Ein Blick hinter die Kulissen einer digitalen Revolution in der Rechtswelt.

Die “Future Ready Lawyer”-Studie von Wolters Kluwer zeigt uns die Zukunft der Rechtsbranche auf. Künstliche Intelligenz wird immer mehr integriert, doch wie stehst du als Jurist dazu? Erfahre mehr über die Trends, Herausforderungen und die geteilten Meinungen in Bezug auf KI in der Rechtspraxis. Diese Studie gibt dir einen Einblick in die komplexe Welt der Rechtsbranche im Zeitalter der technologischen Innovationen.

Die Diskussionen über Attraktivitätssteigerung und Modernisierung der Juristenausbildung laufen, doch klare Pläne fehlen bisher. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die enttäuschenden Ergebnisse und die Forderungen der Studierendenschaft nach einer tiefergehenden Auseinandersetzung. Erfahre, welche Vorschläge die Studie von iur.reform macht und wie die Universität die Forderung nach einem integrierten Bachelor unterstützt.

Begleite uns zu guter Letzt in unserem Podcast-Interview mit Dr. Carl-Wendelin Neubert von Jurafuchs. Mit ihm sprechen wir über die Zukunft des Jurastudiums und wie E-Learning sowie KI-Lernassistenten die Ausbildung revolutionieren. Dr. Neubert teilt spannende Einblicke in die sich wandelnde Landschaft des Jurastudiums und zeigt auf, wie die Technologie deine Perspektiven auf die Branche verändert.

 

 

Künstliche Intelligenz

KI als Erfinder?

Das Thema Künstliche Intelligenz mag nicht mehr von den Bildflächen verschwinden und gerade in der Rechtswelt scheint der Andrang hoch, sich mit all ihren Facetten zu beschäftigen und eine Neubewertung bestehender Rechtsnormen im Kontext moderner Technologie zu führen. Während die Diskussionen immer mehr aufflammen, gibt es jedoch ein Nischenthema, das bereits vor ChatGPT und Co. für Unruhe bei Jurist*innen gesorgt hat.

Hintergrund ist die von Dr. Stephen Thaler entwickelte KI “DABUS” (Akronym für Device for the Autonomous Bootstrapping of Unified Sentience), die zwei Erfindungen hervorgebracht hat: Einen Lebensmittelbehälter mit schneeflockengeformter Geometrie, der ein schnelles Aufwärmen ermögliche, sowie ein Blinklicht, das mit bestimmten Sequenzen in Notfällen besonders viel Aufmerksamkeit erregen soll. Mit diesen Erfindungen ist Thaler zusammen mit einem Team von Patentanwälten durch die Welt gezogen und hat versucht, entsprechende Patente anzumelden – mit DABUS als eingetragener Erfinder. Das wirft die Frage auf, ob eine KI formell als Erfinder eines Patents fungieren kann?

In den USA sowie in Australien sind die Anmeldungen gescheitert, in vielen Ländern gibt es jedoch noch anhängige Patentanmeldungen bzw. Gerichtsverfahren – so auch in Deutschland. Zunächst erfolgte die Ablehnung der Patentanmeldung durch das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA), da das geltende Recht darauf bestehen solle, dass nur natürliche Personen als Erfinder genannt werden können. Das Bundespatentgericht (BPatG) hat dies bestätigt und entschieden, dass dies auch gilt, wenn alleine die KI sowohl das Problem als auch die Lösung identifiziert hat. Zumindest soll jedoch neben der Nennung einer natürlichen Person als Erfinder der Zusatz „der die künstliche Intelligenz DABUS dazu veranlasst hat, die Erfindung zu generieren“ zulässig sein. Die Entscheidung wird derzeit noch vom BGH – die Rechtsmittelinstanz des Bundespatentgerichts – geprüft.

Zumindest in Südafrika war die Anmeldung erfolgreich und Thaler konnte beide Erfindungen als Inhaber anmelden und DABUS zum Erfinder ernennen. Es bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse die weiteren anhängigen Verfahren in Deutschland, Großbritannien oder vor dem EPA bringen werden.

 

Casetext’s CoCouncil: KI-basierte Effizienz für Juristen

94 Millionen Euro für die Digitalisierung der Justiz

Die Arbeit eines Juristen ist unglaublich dokumentenlastig: Gesetzestexte, Statuten oder Urteile, die ganzen Unterlagen zu dem spezifischen Fall, Mails, Verträge, Beweisakten und vieles mehr. Sehr schnell sammeln sich tausende Seiten, teils digital und teils in Papierform, an.

Eine der zeitintensivsten und damit teuersten Aufgaben ist es, diese Dokumente zu lesen, zu verstehen, in Kontext miteinander zu setzen sowie mit den entsprechenden Gesetzesnormen in Deckung zu bringen. Handelt es sich um große, vielleicht sogar internationale Verfahren kann die Aufarbeitung sich über Monate bis Jahre hinziehen.
Das Kernprodukt CoCouncil von Casetext Inc. hat sich auf solch große Datenmengen spezialisiert. Mit Hilfe von GPT-4-basierter Software kann CoCouncil komplexe juristische Aufgaben übernehmen und diese qualitativ und verlässlich auf menschlichem Level aber mit übermenschlicher Geschwindigkeit bearbeiten. So schnell, das Fragen, die erst nach vier bis fünf Tagen Recherche beantwortet werden konnten, nun schon nach 15 bis 20 Minuten geklärt sind.

Casetext wurde 2013 ursprünglich als eine Online-Bibliothek für Fallrecht erstellt, in der Benutzer Kommentare zu den einzelnen Fällen hinzufügen konnten und so ein gemeinschaftliches Nachschlagewerk – ähnlich wie Wikipedia – geschaffen haben. Nur drei Jahre später hat Casetext angefangen, mit Sprachmodellen zu experimentieren und dadurch früh das riesige Potenzial von KI für juristische Anwendungen entdeckt. Dank „early access“ zu GPT-3 und -4 von Open AI konnte dieses Potenzial dann auch ideal ausgeschöpft werden: CoCounsel ist entstanden und wird mittlerweile von mehreren Tausend Kanzleien und Unternehmen verwendet.

Der Medienkonzern Thomson Reuters hat im August diesen Jahres Casetext für 650 Millionen US-Dollar gekauft. Dieser Betrag zeigt deutlich, wie groß der Markt für Legal Tech Anwendungen ist, mit der klaren Prognose: er wird wachsen.

 

KI in der Rechtsbranche: Chancen und Bedenken

Zukunft der Rechtsbranche: KI als Schlüsseltechnologie

Die jüngste “Future Ready Lawyer”-Studie von Wolters Kluwer offenbart aufschlussreiche Trends in der Rechtsbranche, insbesondere hinsichtlich der Rolle von Künstlicher Intelligenz. Mit Befragungen von 700 Jurist:innen aus zehn Ländern hebt die Studie hervor, dass fast drei Viertel (73 %) der Jurist:innen erwarten, generative KI im nächsten Jahr in ihre Arbeit zu integrieren. Trotz der rasanten technologischen Innovationen, fühlen sich 68 % der Befragten auf diese Änderung vorbereitet.  Diese Zahlen zeigen eine bemerkenswerte Offenheit für die Integration von KI in den Rechtsalltag. Trotz der überwiegend positiven Einstellung zur KI gibt es allerdings geteilte Meinungen, wenn es um die Einstufung von KI als „Fluch oder Segen“ geht: 43 % sehen KI als Chance, während 25 % sie als Bedrohung ansehen und 26 % sie sowohl als Chance als auch Bedrohung betrachten.

Diese gemischten Ansichten spiegeln die Komplexität wider, mit der die Branche konfrontiert ist, insbesondere in Bezug auf ethische und datenschutzrechtliche Fragen. Neben der KI-Integration hebt die Studie auch hervor, dass 87 % der Jurist:innen den Einsatz von Technologie als Verbesserung ihrer täglichen Arbeit ansehen. Allerdings glaubt fast die Hälfte (46 %), dass die vorhandenen technologischen Möglichkeiten noch nicht voll ausgeschöpft werden. Trotzdem erwarteten über 80 % eine Steigerung der Produktivität durch stärkeren Technologieeinsatz.  Ein weiterer bedeutender Trend ist die Remote-Arbeit: 89 % der Jurist:innen betrachten die Möglichkeit, remote zu arbeiten, als entscheidend für ihre Arbeitszufriedenheit. Diese Präferenz zeigt den anhaltenden Trend zu flexibleren Arbeitsmodellen in der Rechtsbranche.

Zusammenfassend verdeutlicht die “Future Ready Lawyer”-Studie 2023, dass die Rechtsbranche eine spannende Zeit durchlebt, geprägt von technologischen Fortschritten und einer Neugestaltung der Arbeitskultur. Die Integration von KI und die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen werden zweifellos weiterhin eine wichtige Rolle spielen.  Wir empfehlen allen Interessierten, die vollständige Studie für detailliertere Einblicke und Statistiken zu konsultieren.

 

Datenschutz vs. KI: Die Balance finden

Datenschutz und KI im Einklang?

Beim Thema künstliche Intelligenz (KI) treffen enormes Potenzial auf neue  Herausforderungen. So entsteht zum Beispiel ein Konflikt zwischen KI und Datenschutz, der  Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der Sicherheit der Bürger und ihrer Daten. Für einen gelungenen Ausgleich ist es demnach notwendig, dass Datenschutz und künstliche  Intelligenz nicht als isolierte Konzepte betrachtet werden, sondern von Beginn an gemeinsam gedacht werden.

Angefangen bei unerwünschten Aufzeichnungen durch intelligente Sprachassistenten bis hin  zur stetig zunehmenden Verwendung von Large Language Modellen – wie ChatGPT – durchdringt die Verarbeitung von personenbezogenen Daten unser alltägliches Leben.
Die „Verarbeitung“ von personenbezogenen Daten ist in Art. 4 Nr. 2 DS-GVO sehr  weitreichend geregelt und umfasst von der Erhebung über das Speichern und Ordnen bis zur Löschung jeden Umgang mit personenbezogenen Daten. Oftmals fehlt es allerdings an dem Vorliegen einer Rechtsgrundlage für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten, wenn künstliche Intelligenz darauf zugreift. Rechtsgrundlagen nach der DS-GVO können zum  Beispiel sein: die Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. a DS-GVO; die Erfüllung eines  Vertrages, Art. 6 Abs. 1 Buchst. b DS-GVO; die Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung,  Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DS-GVO; der Schutz lebenswichtiger Interessen, Art. 6 Abs. 1 Buchst. d DS-GVO; die Zweckänderung, Art. 6 Abs. 4 DS-GVO und einige Spezialfälle.

Ohne eine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung drohen allerdings schwere Verstöße gegen die informationelle Selbstbestimmung. Bedeutsamer ist allerdings, dass ein solcher  Datenmissbrauch zur Verunsicherung unter der Gesellschaft beiträgt und die Akzeptanz von KI-Systemen innerhalb der Gesellschaft senkt.

Um einen gesetzeskonformen Umgang mit personenbezogenen Daten zu erreichen, ist es  notwendig, dass Verantwortliche die datenschutzrechtlichen Vorgaben umsetzen und einhalten. Dazu gibt es, wie oben dargestellt, ein breites Repertoire an Rechtsgrundlagen, auf  die sich die Verantwortlichen stützen können, um die Entwicklung von KI-Systemen nutzerfreundlich zu gestalten.

 

Absichtserklärungen aber (noch) keine Reform

Enttäuschung nach Justizminister:innern-Konferenz

Bei der diesjährigen Herbstsitzung konnten sich die Justizminster:innen der Länder lediglich auf eine gemeinsame Absichtserklärung zur Reform des Jurastudiums verständigen. Demnach soll das Studium zwar attraktiver und zukunftsgerechter werden und zu mehr kritischer Auseinandersetzung mit der besonderen gesellschaftlichen Stellung von Jurist:innen führen – eine tiergehender Auseinandersetzung erfolgte jedoch nicht. Trotz massiver Proteste seitens der Studierendenschaft, vertreten durch den Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. und dem Bündnis zur Reform der juristischen Ausbildung e.V. folgten der Bekundungen keine konkreten Vorschläge zur Reform des Studiums und auch keinen Positionierung zur Forderung nach einem integrierten Bachelor. Damit bleibt die Jurist:innen-Konferenz erneut hinter den Erwartungen zurück. Dabei mangelt es nicht an Vorschlägen, wie die Studie von iur.reform zeigt. Auch nicht an einer weitreichenden Unterstützung, z.B, durch die Universitäten beim integrieren Bachelor.

 

Podcast-Tipp

Dr. Carl-Wendelin Neubert – Die Zukunft des Jurastudiums: E-Learning und KI-Lernassistenten

In unserer neuen Folge des Interview-Podcasts sprechen Vincent und Yagmur mit Dr. Carl-Wendelin Neubert von Jurafuchs. Dr. Carl-Wendelin Neubert ist Rechtsanwalt, Mitgründer und Chefredakteur bei Jurafuchs. Zusammen mit ihm sprechen wir über die neuesten Innovationen im Bereich des E-Learnings und wie KI-Lernassistenten die juristische Ausbildung revolutionieren. Ihr werdet herausfinden, was ein KI-Lernassistent ist, wie diese Technologie funktioniert und erfahren, wie sie das Definitionenlernen und die Ausbildung von Jurastudenten beeinflusst. Zudem sprechen wir über die Zukunft der juristischen Ausbildung und wie sich die Perspektiven auf die Branche unterscheiden. Dr. Neubert bietet uns faszinierende Einblicke und neue Perspektiven auf eine Debatte, die uns alle bewegt.

 

Video-Tipp

Einfluss des AI Act auf den Einsatz von KI in der Ziviljustiz

 

Last Updated on 5. Dezember 2023