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NewLaw Radar 72/24 – Taucht ein in die Welt der Digitalisierung der Justiz, juristischer Datenverarbeitung und wegweisender KI-Plattformen.

Editor’s Ramble #72

Liebe Leser:innen,

herzlich willkommen zur aktuellen Ausgabe unseres Newsletters, in dem wir Euch einen umfassenden Überblick über die jüngsten Entwicklungen im Rechtswesen und dessen Digitalisierung geben.

Der Weg zur eAkte nimmt Gestalt an: das BMJ hat einen konkreten Gesetzesentwurf zur Digitalisierung der Justiz vorgelegt. Neue Regelungen wie die Hybridaktenführung und die digitale Strafantragstellung sollen die Justiz modernisieren und effizienter gestalten. Doch die Umsetzung liegt nun beim Bundesrat – und hier könnten Bedenken wegen technischen und personellen Herausforderungen auf die Länder zukommen.

Ein EuGH-Urteil stellt klar: Auch mündliche Auskünfte können als Datenverarbeitung gemäß DSGVO gelten. Das Urteil C-740/22 verdeutlicht die Weite des Begriffs “Datenverarbeitung” und hat damit potenziell weitreichende Auswirkungen auf den Umgang mit personenbezogene, selbst bei mündlichen Übermittlungen.

Mit dem SaulLM-7B steht erstmals ein Large Language Model speziell für den Rechtsbereich zur Verfügung. Seine Leistungsfähigkeit und die transparente Bereitstellung von Code und Lizenzinformationen machen es zu einer vielversprechenden Basis für rechtliche Anwendungen, von der Vertragsanalyse bis zur juristischen Forschung.

Die Harvey AI Plattform, basierend auf der leistungsstarken GPT-KI von OpenAI, wird nun auf Microsoft Azure bereitgestellt. Dieser Schritt verspricht eine noch engere Zusammenarbeit und verbesserte Dienstleistungen für Anwaltskanzleien und juristische Teams weltweit, indem sie schnellere und kostengünstigere Lösungen für rechtliche Probleme bietet.

 

Künstliche Intelligenz

Effiziente juristische Lösungen: Harvey AI nun auf Microsoft Azure Plattform!

Am 19. März 2024 verkündete Harvey, dass die Plattform nun auch auf Microsoft Azure bereitgestellt wird. Harvey AI ist eine auf der von OpenAI entwickelten GPT-KI basierende Plattform, die speziell für juristische Arbeit entwickelt wurde. Während ChatGPT für allgemeine Zwecke verwendet wird, wurde Harvey jedoch mit juristischen Daten trainiert, einschließlich Rechtsprechung und Literatur.

Die generative KI Harvey unterstützt hierdurch bei Vertragsanalysen, Due Diligences und regulatorischer Compliance und kann aufgrund von Daten außerdem auch Erkenntnisse, Empfehlungen und Vorhersagen generieren. Dadurch sollen Anwälte schnellere und kostengünstigere Lösungen für die Probleme ihrer Mandanten anbieten. Letztendlich sollen Anwaltskanzleien mit dem Einsatz von Harvey effizienter arbeiten und ihren Kunden einen Mehrwert bieten.

Im vergangenen Jahr hat sich Harvey dabei bereits als eine sichere generative KI-Plattform für anspruchsvolle professionelle Dienstleistungen etabliert: So hat bereits die Wirtschaftskanzlei Allen & Overy im Februar 2023 eine Partnerschaft mit Harvey bekanntgegeben und angekündigt, dass dieser „Game-Changer“ ihre internationale juristisch Arbeit unterstützen soll. Auch PwC hat sich im März 2023 den – unter den Big Four exklusiven – globalen Zugang gesichert und darüber hinaus verkündet im Rahmen einer strategischen Allianz die Plattform zusammenzuarbeiten.

Wie aus der neuesten Verkündung jedoch hervorgeht, arbeitet Harvey dieses Mal eng mit Microsoft zusammen, um die „Harvey-on-Azure-Lösung“ weltweit an führende Anwaltskanzleien, Inhouse-Teams, professionelle Dienstleister und Private-Equity-Firmen zu vermarkten und zu verkaufen. Dadurch will Harvey seinen Kunden auch eine verbesserte Skalierbarkeit, Sicherheit und Leistung sowie nahtlose Integration mit anderen Azure-Diensten und -Tools bieten. Interessierte Kunden können Harvey nun direkt im Azure Marketplace erwerben.

 

Regierungsentwurf im Bundesrat

Weg zur eAkte: Neues Digitalisierungsgesetz für Justiz

Dass die E-Akte ab dem 01. Januar 2026 verpflichtend sein soll, wirkt in manchem Gericht wie ein Wunsch aus ferner Zukunft.

Das Bundeministerium der Justiz hat diesen Zustand erkannt und geht das Problem mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Justiz jetzt konkret an.

Maßgebliche Neuregelungen aus dem Gesetzesentwurf, der am 15.03. von der Bundesregierung dem Bundesrat zugeleitet wurde, sind die Hybridaktenführung, die Ermöglichung von Scans von Anträgen in Schriftform und die digitale Möglichkeit zur Strafantragstellung. In der Revisionshauptverhandlung können sich die Parteien in Zukunft auch digital zuschalten.

Der Strafantrag soll in Zukunft per Mail oder Online-Formular gestellt werden können, wenn aus der entsprechenden Kontaktaufnahme die Bitte um Verfolgung der Straftat eindeutig erkennbar wird und die Identität der antragstellenden Person erkennbar ist (statt wie bisher schriftlich oder auf sicherem Übermittlungsweg).

Hierdurch soll im Behörden-Alltag ein „Ausdrucken und Einscannen“ von digital versendeten Anträgen vermieden werden. Eben dieses Regelungsanliegen setzt sich weiterhin in der hybriden Aktenführung fort. Wollte man eine vollständige Digitalisierung aller Akten erreichen, müssten diese zuerst eingescannt werden. Um personelle Ressourcen zu sparen wird die Fortführung einer Akte in Papierform in digitaler Form gestattet. Auch wenn hierdurch keine vollständige Digitalisierung auf den ersten Blick erreicht wird, wird eben die digitale Arbeit in Zukunft ermöglicht (kritisch bisher: DRB). Eine solche Herangehensweise ist bisher eher selten aufgetaucht und ebnet den Weg für eine digitalere Justiz in der Zukunft. Der DAV begrüßt den Entwurf überwiegend.

Es bleibt jedoch abzuwarten, wie der Bundesrat sich zu dem Gesetzesentwurf positioniert. Die Länder wären als großer Träger der Justiz für die Umsetzung verantwortlich. Hier könnten Probleme bei der Belastung der vorhandenen technischen Ressourcen und auch der personellen Ressourcen, die solche digitalen Dienste betreuen könnten, entstehen.

Zweifel bestehen jedoch in Bezug auf die entfallene Anwesenheitspflicht der Verteidiger im Hauptprozess. Hierbei ergeben sich Konflikte mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Gesetzesentwurf die Arbeit der Justiz wieder ein bisschen weiter digitalisieren würde und für die Einführung der e-Akte nach aktuellem Stand fast unabdingbar ist.

 

LLM für die juristische Textverarbeitung

SaulLM-7B: Das erste Large Language Model für den Rechtsbereich

Das SaulLM-7B ist ein bemerkenswertes Sprachmodell mit 7 Milliarden Parametern, das speziell für den Einsatz im Rechtsbereich entwickelt wurde. Seine Entwicklung basiert auf einem innovativen Feintuning-Ansatz, der es ermöglicht hat, eine außergewöhnliche Leistungsfähigkeit bei der Verarbeitung und Generierung von Rechtstexten zu erzielen. Durch die Verwendung von umfangreichen Daten aus verschiedenen rechtlichen Quellen, die gründlich gereinigt wurden, konnte das Modell ein tiefes Verständnis für die spezifischen sprachlichen Nuancen im juristischen Bereich entwickeln.

Ein entscheidender Beitrag des dazugehörigen Papers besteht in der Vorstellung einer verbesserten Bewertungsmethode für Rechtssprachmodelle, die es ermöglicht, ihre Leistungsfähigkeit präziser zu bewerten und zu vergleichen. Zusätzlich wird der Quellcode des SaulLM-7B sowie Informationen zur Lizenzierung bereitgestellt, was eine transparente und zugängliche Nutzung des Modells ermöglicht.

Die Leistung des SaulLM-7B wurde in verschiedenen rechtlichen Benchmarks umfassend evaluiert und hat gezeigt, dass es andere Open-Source-Modelle in verschiedenen Aspekten übertrifft. Diese herausragenden Ergebnisse können das SaulLM-7B zu einer vielversprechenden Grundlage für Anwendungen im Rechtsbereich, von der automatisierten Vertragsanalyse bis hin zur juristischen Beratung und Forschung machen.

 

Datenschutz-Grundverordnung

EuGH-Urteil: Mündliche Übermittlung als Datenverarbeitung?

Inwieweit kann eine mündliche Übermittlung als Datenverarbeitung angesehen werden? Das hat der EuGH in seinem aktuellen Urteil C-740/22 vom 07.02.2024 entschieden.

Die Klägerin hatte bei einem finnischen Gericht mündliche Auskunft über möglicherweise verhängte oder bereits verbüßte Strafen einer Person angefordert, die an einem von ihr organisierten Wettbewerb teilnehmen wollte.

Das Gericht hatte ihr mit Hinweis auf die datenschutzrechtlichen Betroffenenrechte die Auskunft verwehrt. Außerdem könne die Auskunft generell nicht mündlich erteilt werden, da da es sich schon bei der Suchanfrage im Informationssystem des Gerichts um eine Datenverarbeitung handle.

Die Klägerin legte Berufung ein und brachte vor es würde sich bei der Auskunft nicht um eine Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art. 4 Nr. 2 DSGVO handeln.

Das Berufungsgericht legte diese Frage daraufhin dem EuGH vor.

Art. 4 Nr. 2 DSGVO: 
Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck: „Verarbeitung“ jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung.

Der EuGH legt den Begriff der Datenverarbeitung weit aus und sieht die gesetzlichen Fälle als nicht abschließend an, dies ergäbe sich bereits aus dem Wortlaut „Jeden Vorgang“ des Art. 4 Nr. 2 DSGVO. Eine weite Auslegung trägt darüber hinaus den Erwägungsgründen 1 und 10 der DSGVO Rechnung, die ein hohes Schutzniveau der Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen, insbesondere ihres in Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Grundrechte Charta und in Art. 16 Abs. 1 AEUV verankerten Rechts auf Privatleben, bei der Verarbeitung personenbezogener Daten fordern.

Im Gegensatz zu einer automatisierten Verarbeitung sei bei einer manuellen Verarbeitung der Anwendungsbereich nur eröffnet, wenn die verarbeiteten Daten in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden sollen, Erwägungsgrund 15 der DSGVO (vgl. EuGH Urteil vom 10. Juli 2018, C‑25/17, Rn. 53).

Dies liegt jedoch im konkreten Fall in Form eines Personenregisters vor.

Somit stellt in diesem Fall auch die mündliche Auskunft eine Datenverarbeitung im Sinne der DSGVO dar.

 

Neues Onlinezugangsgesetz gescheitert

Hürden für die digitale Verwaltung

Der Bundesrat hat das neue Onlinezugangsgesetz (OZG), offiziell OZG-Änderungsgesetz genannt, abgelehnt, obwohl es zuvor breite Zustimmung im Bundestag gefunden hatte. Dieses Gesetz sollte die öffentliche Verwaltung in Deutschland digitaler machen, indem es den Bürger:innen, Unternehmen und Organisationen ermöglicht, Verwaltungsleistungen online zu beantragen und den Behörden schnellere Abläufe ohne die Notwendigkeit von Papierakten zu ermöglichen.

Die Ablehnung des OZG-Änderungsgesetzes durch den Bundesrat hat zu Enttäuschung und Kritik seitens der Regierungsparteien geführt, die insbesondere die unionsgeführten Länder dafür verantwortlich machen. Schon während der Abstimmung im Bundestag hatten sich CDU/CSU gegen die Reform ausgesprochen.

Die SPD und die Grünen sehen in der Entscheidung des Bundesrats eine Blockadehaltung gegen den Fortschritt bei der Verwaltungsdigitalisierung. Sie betonen, dass dies kein Thema sei, bei dem ideologische Auseinandersetzungen stattfinden sollten. Die Ablehnung durch die CDU-geführten Länder wird als Rückschritt für die Bürger:innen und Unternehmen kritisiert.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wirft der Union vor, die Modernisierung des Staates zu behindern und damit gegen die Interessen ihrer eigenen Kommunen sowie die der Bürger:innen und Unternehmen zu handeln.

Die Grünen sehen in der Entscheidung des Bundesrats eine Blockadehaltung der Union und beklagen den Verlust wertvoller Zeit bei der Verwaltungsdigitalisierung. Sie betonen, dass es im Interesse aller Verantwortlichen liegen müsse, Rückstände schnellstmöglich aufzuholen.

Der Deutsche Landkreistag äußerte ebenfalls Bedenken gegenüber dem neuen Gesetz. Er forderte den Bundesrat auf, dem OZG in seiner aktuellen Form nicht zuzustimmen. Der Verband kritisierte die fehlende Lösung der eigentlichen Probleme durch das Gesetz und betonte, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der Digitalisierung eine angemessene Beteiligung der Länder erfordere.

Trotz der Ablehnung des OZG-Änderungsgesetzes durch den Bundesrat und der fehlenden Anrufung eines Vermittlungsausschusses wird erwartet, dass die Verhandlungen fortgesetzt werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat bereits angekündigt, den Vermittlungsausschuss anzurufen und weiterhin konstruktiv zu verhandeln.

 

Podcast-Tipp

recode.cademy #1 Legal Tech – was ist das?

In der ersten Folge unserer neuen Podcast-Reihe recode.cademy sprechen Marie Landwehr und Lucas Schönborn über den Begriff Legal Tech. Was verbirgt sich dahinter? Was ist davon nicht mehr umfasst? Wie ist das Buzzword Legal Tech zu verstehen?

Die Podcast-Reihe recode.cademy soll einen Überblick darüber verschaffen, was man unter Legal Tech eigentlich versteht, welche Bedeutung es hat, wahrscheinlich noch erlangen wird und was eigentlich die wichtigsten Technologien sind.

 

Veranstaltungstipp

Deutscher IT-Tag: Wir sind dabei!

Wir freuen uns darauf, dieses Jahr am Deutschen IT-Rechtstag der davit – Arbeitsgemeinschaft IT-Recht im DAV am 25. und 26.04.2024 teilzunehmen.

Erstmals dürfen wir als studentische Initiative durch den Tag begleiten und unsere Insights zu Legal Tech mit Euch teilen.

Unser Mitglied Dr. Nils Feuerhelm hält einen spannenden Vortrag zum Thema “Legal AI Operations – ein wichtiger Bestandteil jeder Kanzlei?”

Weitere Themen sind KI und Urheberrecht im Bereich Musik, IT-Sicherheit und KI, die nahenden IT-Sicherheitsgesetze, Beschäftigtendatenschutz, KI und Datenschutz, rechtliche Aspekte KI-gestützer Softwareentwicklung – und die Zukunft des IT-Rechtsmarkts und der anwaltlichen Arbeit. Das gesamte Programm findet ihr hier: https://lnkd.in/egRKRT5X

Wer Lust hat, teilzunehmen, darf sich auf 50 gesponserte Tickets zur Online-Teilnahme freuen. Sende Deine Anmeldung an Frau Nicole Fitzlaff per E-Mail (mit Nachweis zum Status) an fitzlaff@anwaltsakademie.de der DeutscheAnwaltAkademie (Veranstalterin). Ein Rechtsanspruch besteht nicht.

Last Updated on 27. März 2024