NewLaw Radar 74/24 – Digitalisierung der Justiz, KI-Übereinkommen und Guidelines sowie das E-Examen

Editor’s Ramble #74

Liebe Leser:innen,

herzlich willkommen zur aktuellen Ausgabe unseres Newsletters, in dem wir Euch einen umfassenden Überblick über die jüngsten Entwicklungen im Rechtswesen und dessen Digitalisierung geben.

Zuerst betrachten wir die (kleinen) Fortschritte in der Digitalisierung der Justiz durch einen Gesetzentwurf. Obwohl keine umfassende Modernisierung des Verfahrensrechts erwartet wird, bieten die Änderungen, insbesondere im Strafverfahrensrecht, interessante neue Perspektiven und Herausforderungen.

Weiterhin beleuchten wir das erste internationale Übereinkommen des Europarats zu KI, das eine verantwortungsvolle Nutzung von KI sicherstellen soll, während es die Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie respektiert.

Ein weiterer Artikel untersucht die Einführung des E-Examens in verschiedenen Bundesländern und wie diese digitale Transformation die juristische Ausbildung beeinflussen könnte. Die Digitalisierung der Prüfungen bringt viele Vorteile, aber auch neue Herausforderungen mit sich.

Unser Datenschutzartikel widmet sich dem 32. Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten und bietet einen umfassenden Überblick über die aktuellen Entwicklungen und Empfehlungen im Bereich Datenschutz.

Abschließend präsentieren wir die neuen Guidelines on the Use of AI in Litigation des Supreme Court of Victoria, die den verantwortungsvollen Einsatz von KI in Gerichtsverfahren fördern sollen.

Wir hoffen, dass diese Ausgabe Euch neue Einblicke bietet und zum Nachdenken anregt. Viel Spaß beim Lesen!

Redaktion: Katharina, Dennis, Konstantin, Nils, Paul, Lina und Jeremias   Digitalisierung der Justiz

(Kleine) Fortschritte in der Digitalisierung der Justiz: Ein Überblick über den neuen Gesetzentwurf

Am 08. April 2024 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur weiteren Digitalisierung der Justiz vorgelegt. Während eine umfassende Modernisierung ausbleibt, gibt es im (Straf-)Verfahrensrecht grundlegende Änderungen, die kontrovers diskutiert werden.

Elektronische Strafantragstellung: Einfache Strafanzeigen sollen künftig elektronisch formlos gestellt werden können und förmliche Strafanträge ohne Schriftformerfordernis auskommen, wenn Identität und Verfolgungswille eindeutig sind. Während der Deutsche Juristinnenbund dies befürwortet, um einen niedrigschwelligen und gleichberechtigten Zugang zur Strafverfolgung sicherzustellen, äußern die BRAK und der Deutsche Richterbund (DRB) Bedenken hinsichtlich der Sicherstellung einer rechtssicheren Dokumentation und verlässlichen Identifizierung im einfachen E-Mailverkehr.

Unterschriftenentbehrlichkeit: Verhaftete Beschuldigte sollen nicht mehr schriftlich bestätigen müssen, dass sie über ihre Rechte belehrt wurden. Stattdessen soll eine Protokollierung durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen genügen. Nach Ansicht der BRAK schränkt dies die Möglichkeit der späteren Überprüfung der Belehrungspflichten und somit die Beschuldigtenrechte erheblich ein.

Audiovisuelle Teilnahme an der Revisionsverhandlung: Um aufwendige Anreisen und Transporte von Inhaftierten zu ersparen und eine flexiblere Terminierung zu ermöglichen, sollen Angeklagte, ihre Verteidiger und die Sitzungsvertretung künftig per Videokonferenz an der Verhandlung teilnehmen können. BGH-Richterin Allgayer, der DRB und die BRAK kritisieren den Vorschlag unter Verweis auf die Bedeutung der persönlichen Präsenz, insbesondere der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger, bei Revisionshauptverhandlungen.

Hybridaktenführung: Weitgehend begrüßt wird die Ermöglichung der elektronischen Fortführung von Papierakten. Dies ist nach der aktuellen Rechtslage nur möglich, wenn diese zuvor digitalisiert wurden. Hiermit wird auf Schwierigkeiten in der Pilotierungsphase der E-Akte durch zeit- und kostenintensive Scan-Arbeiten reagiert, um den Umstieg auf die E-Akte zu erleichtern.

Weitere Änderungsvorschläge

  • Ermöglichung einer elektronischen Übermittlung von schriftlich einzureichenden Anträgen und Erklärungen.
  • Festlegung einheitlicher technische Standards für die Übermittlung elektronischer Akten zwischen Behörden und Gerichten.

  • Einführung einer Formfiktion für in elektronischen Schriftsätzen enthaltene Willenserklärungen.

  • Erweiterung des Anwendungsbereichs der Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten in Straf- und Bußgeldsachen.

  • Einführung der Textform für anwaltliche Vergütungsabrechnungen.

  • Anpassungen im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht

  • Zugangserleichterung für Organisationen durch eine beschränkte Zulassung des Identifizierungsverfahrens ELSTER im elektronischen Rechtsverkehr.

  • Verbesserung der Rechtssicherheit durch datenschutzrechtliche Klarstellungen.

Allgemeine Kritik zu Gesetzesänderung Der Grundgedanke, modernisierte Verfahrensordnungen zu schaffen und somit eine digitale Justiz zu ermöglichen, wird umfassend befürwortet. Kritisiert wird jedoch, dass die Änderungen nur punktuelle Verbesserungen bringen und keinen ganzheitlichen Modernisierungsansatz darstellen. So unter anderem Edith Kindermann (DAV) und Wilfried Bernhardt (Deutscher EDV-Gerichtstag). Der DRB bemängelt die unzureichende technische Ausstattung der Justiz und fordert einen Bund-Länder-Digitalpakt im Wert von einer Milliarde Euro, mit Verweis darauf, dass die vom Bundesjustizminister Buschmann zugesagten 200 Millionen Euro nicht ausreichen.

  Erstes bindendes internationales Übereinkommen

Europarat zieht bei KI nach

Nach der medienwirksamen Verabschiedung des sog. „KI-Gesetzes“ auf EU-Ebene im März/Mai wird der Megatrend der letzten beiden Jahre in Europa fleißig weiter reguliert. Nun tritt der Europarat auf den Plan, der ein über insgesamt fünf Jahre ausgearbeitetes Rahmenübereinkommen zum Umgang mit KI angenommen hat.

Dieses fällt in eine Serie von Ausarbeitungen aus 2023 im Feld der Digitalisierung und KI: Leitlinien zum Datenschutz bei der Geldwäschebekämpfung, zu Online-Streitbeilegungen, zu digitalen Identitätssystemen und zu journalistischer Nutzung von KI. Generalsekretärin Marija Pejčinović Burić möchte mit dem Übereinkommen eine „verantwortliche Nutzung von KI, die Menschenrechte, die Rechtstaatlichkeit und die Demokratie respektiert“ sicherstellen. Ein solches Rahmenübereinkommen ist für die unterzeichnenden Staaten rechtlich bindend und kann hinsichtlich spezifischerer Ziele durch Protokolle erweitert werden. Die konkrete Umsetzung obliegt aber den Staaten. Die Definition von KI ähnelt dabei der OECD-Definition, die auch schon die Grundlage für das EU-Gesetz war.

Die Schutzrichtung ist dabei dreierlei: Zunächst sollen insbesondere die Menschenwürde, die allgemeine Handlungsfreiheit und die Privatsphären- und Datenschutzrechte geschützt werden. Darüber hinaus darf KI nicht dazu dienen, insbesondere die Gewaltenteilung, die richterliche Unabhängigkeit und den Zugang zur Justiz zu untergraben. Schließlich muss insbesondere die Meinungsfreiheit gewahrt werden.

Inhaltlich werden einerseits Transparenz und Überwachung vor allem bei der Inhaltserstellung durch KI gefordert. Daneben steht ein Appell für Haftungsvorschriften (bis zu einem Verbot) und für die Bereitstellung ausreichend informierender Daten über das jeweilige System und die Nutzung. Jegliche Diskriminierung, gerade hinsichtlich des Geschlechts, muss verhindert werden. KI-Systeme sollen zudem Mindestqualitäts- und -sicherheitsstandards erhalten, daneben sollen aber auch Innovations-Sandkästen möglich sein.

Ein nicht zu unterschätzender Vorteil zur EU-Regelung liegt im Anwendungsbereich des Übereinkommens: Dem Europarat gehören auch 19 Nicht-EU-Länder an, darunter die UK und die Türkei. Andererseits müssen die Mitglieder das Übereinkommen nicht unterzeichnen. Es besteht dennoch die Hoffnung, dass die bereits in den Verhandlungen beteiligten Nicht-Mitglieder wie (gerade) die KI-Vorreiterin USA, Japan oder Australien sich ebenfalls der Konvention verpflichten. Zudem eröffnet die Sphäre des Europarats den „zusätzlichen“ Gerichtsweg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Doch auch an Kritik mangelt es nicht: Insbesondere hinsichtlich des Privatsektors, der nationalen Sicherheit und der Verteidigung können alternativ auch eigene Maßnahmen ergriffen werden, insofern sei das Abkommen zu verwässert. Außerdem gibt es im Gegensatz zum EU-Pendant eine definitive rote Linie. Zudem kann eine Konvention mit einem so breit angelegten Anwendungsbereich nie sektorspezifische Regeln aufstellen.

Das Übereinkommen wird daher in erster Linie eine grobe internationale Linie für ein sich hochgradig entwickelndes Feld darstellen. Auf die konkrete Umsetzung darf gespannt sein.

  E-Examen

Die Zukunft der juristischen Staatsprüfungen

Nachdem in den letzten Jahren die juristische Ausbildung immer digitaler geworden ist, werden auch die Prüfungen durch das E-Examen endlich digital. Aber wie weit sind die Bundesländer mit der Umsetzung? Und wie digital wird das Examen in der Zukunft?

Durch die Neuregelung von § 5d Abs. 6 DRiG haben die Bundesländer die Möglichkeit bekommen, das E-Examen einzuführen. Sachsen-Anhalt und Sachsen waren Vorreiter beim E-Examen. Sachsen-Anhalt hat schon im April 2019 ein Pilotprojekt zur Einführung des E-Examens gestartet. In NRW ist das E-Examen ab Januar 2024 für beide Staatsexamen möglich. In Berlin und Brandenburg gibt es das E-Examen seit Dezember 2023. Auch Schleswig-Holstein bietet seit April 2024 gemeinsam mit Bremen und Hamburg an, das zweite Examen digital zu schreiben.

Die Vorteile eines E-Examens liegen auf der Hand: Als Prüfling kann man schneller arbeiten, Korrektoren freuen sich über ein lesbares Ergebnis und das Examen bildet zumindest etwas mehr den wirklichen Arbeitsalltag ab. Theoretisch würde man sich auch viel Papier sparen, wenn die Prüfungsämter die Arbeiten auch digital an die Korrektoren versenden würden, anstatt sie auszudrucken. Es bleibt allerdings zu beobachten, ob sich Bewertungsunterschiede zwischen handschriftlichen und digital verfassten Arbeiten ergeben, die die Chancengleichheit der Prüflinge beeinträchtigen könnten.

Die ersten Statistiken zeigen klar und deutlich, dass die Einführung des E-Examens überfällig gewesen ist. Bei der zweiten juristischen Staatsprüfung in NRW haben sich fast 97% der Prüflinge für die digitale Anfertigung der Klausuren entschieden.

Aber das E-Examen in seiner jetzigen Form ist erst der Anfang, von dem, was in der Zukunft noch möglich ist. Auch die Gesetzesbegründung zu § 5d Abs. 6 DRiG bezeichnet die Einführung des E-Examens nur als einen „ersten Schritt“. In Zukunft könnte der Prüfungsablauf noch weiter an die Realität und den späteren Arbeitsalltag angepasst werden. Warum muss man als Prüfling immer noch analoge Gesetze zu den Prüfungen schleppen, wenn in der Praxis sowieso jeder mit digitalen Gesetzen arbeitet? Und wenn man Online-Gesetze zulässt, könnte man auch darüber nachdenken, den Zugriff auf juristische Datenbanken zu erlauben, um die Recherchefähigkeiten der Prüflinge abzufragen. Um die Chancengleichheit zu erhöhen und den Prüfungsprozess zu beschleunigen könnte die Korrektur der Klausuren auch automatisiert mittels künstlicher Intelligenz erfolgen. Die langen Korrekturzeiten und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Korrektoren wären endlich Geschichte.

Das E-Examen ist ein spannender erster Schritt in Richtung Digitalisierung der juristischen Prüfungen. Es wird spannend zu beobachten, wie sich das E-Examen in den kommenden Jahren entwickelt und wie stark die Prüfungen digitalisiert werden.

  Datenschutz

Der 32. Tätigkeitsbericht des BfDI zum Jahr 2023

Der scheidende Bundesdatenschutzbeauftragte Prof. Ulrich Kelber hat mit dem 32. Tätigkeitsbericht des BfDIgleichzeitig auch seinen letzten Tätigkeitsbericht dem deutschen Bundestag vorgelegt.

Insgesamt hat er für das Jahr 2023 ein positives Fazit gezogen:

„Wir schaffen hohe Datenschutzstandards auf globaler Ebene. Diese Harmonisierung ist ein Fortschritt für die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, aber eben auch für die Wirtschaft, die auf einen freien und vertrauensvollen Datenverkehr angewiesen ist. Die Expertise des BfDI dazu wird international geschätzt und intensiv nachgefragt.“

Die Zahlen des Jahres 2023:

  • 9.263 Meldungen von Datenschutzverstößen

  • 491 Eingaben mit Bezug zum Informationsfreiheitsrecht.

  • Bürgerinnen und Bürger reichten 2.574 Beschwerden und 5.162 allgemeine Anfragen ein.

Im Vergleich zu 2022 ist die Zahl der Datenschutzverstöße um knapp 10 Prozent zurückgegangen, während die Zahl der Beschwerden ca. 20 Prozent gestiegen ist.

Die Empfehlungen des 32. Tätigkeitsbericht:

  • Einführung der elektronische Patientenakte (ePA) und elektronische Gesundheitskarte (eGK), im Dezember 2023 wurde das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens beschlossen, welches die Einführung einer widerspruchsbasierten elektronischen Patientenakte (ePA) für alle gesetzlich Versicherten vorsieht. Generell begrüßt der BfDI die Digitalisierung in diesem Bereich, hat jedoch bei der Umsetzung erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken. Die Anforderungen sind im Bereich der Gesundheitsdaten als besondere Personenbezogene Daten nach Art 9 DSGVO besonders hoch. Der BfDI fordert im Zuge dessen nicht nur Daten im Sinne des Gendiagnostikgesetzes unter einen Einwilligungsvorbehalt zu stellen, sondern auch Daten, die zu einer erheblichen Benachteiligung des Versicherten führen können. Darunter beispielsweise Schwangerschaftsabbrüche, HIV Infektionen oder psychische Erkrankungen, deren bekanntwerden potentiell zu Diskriminierung oder Stigmatisierung der Betroffenen führen können. Ebenfalls kritisiert der BfDI die Zustellung der ePA als nicht sicher genug und fordert eine persönliche Zustellung.

  • Schaffung einer nationalen KI-Aufsicht, hier wird sich zeigen, ob diese durch die nationale Datenschutzbehörden oder beispielsweise durch die BNetzA umgesetzt wird. Der BfDI spricht sich dafür aus auf die Expertise der Datenschutzbehörden zu setzten und diese als Aufsicht für die KI Thematik einzusetzen.

  • Überarbeitung des VO-Entwurfs zur Chatkontrolle, da der BfDI den mangelnden Schutz der Kinder bemängelt und diesen mehr als Vorwand betrachtet zur anlasslosen und flächendeckenden Überwachung privater Kommunikation.

  • Nachbesserungen am EU-Entwurf für eine Verordnung zur Festlegung zusätzlicher Verfahrensregeln für die Durchsetzung der DSGVO Die VVO soll als Verfahrensbeschleuniger dienen, den en betroffenen Aufsichtsbehörden mehr Einfluss auf die federführende Aufsichts- behörde ermöglichen und durch Transparenz für mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sorgen. Insbesondere soll dies erreicht werden durch verbindliche Vorgaben, einschließlich Fristen, für die federführende Aufsichtsbehörde zur beschleunigten Beschwerdebearbeitung in grenzüberschreitenden Fällen.

  • Vorlage eines Entwurfs gesetzlicher Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz, da aus Sicht des BfDI die Generalklausel des §26 BDSG nicht ausreichend ist, um einen hinreichenden Schutz der Persönlichkeitsrechte zu gewährleisten.

  • Nutzung von digitalen Identitäten. Die reformierte eIDAS-Verordnung schafft Freiräume zur Ausgestaltung der nationalen, europäischen Brieftasche (EUDI-Wallet). Der BfDI empfiehlt diese Technologien zu nutzen, um insbesondre eine Überidentifikation zu vermeiden und dem datenschutzrechtlichen Grundsatz der Datenminimierung gerecht zu werden.

Wir gratulieren herzlich der Nachfolgerin von Prof. Ulrich Kelber als Bundesdatenschutzbeauftragte, Prof. Louisa Specht-Riemenschneider, Professorin für Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und Leiterin der Forschungsstelle für Rechtsfragen neuer Technologien und Datenrecht.

Sie ist darüber hinaus Vorsitzende des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen beim Umweltministerium (BMUV) und war Vorsitzende des Digitalbeirates beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV).

  Guidelines on the Use of AI in Litigation SCV

„Wie gewinne ich meinen Prozess, ChatGPT?“

Immer mehr Parteien oder Parteivertreter nutzen KI zur Erstellung Ihrer Schriftsätze und unterstützenden Dokumente. Dabei ist dem Einsatz von KI weltweit noch wenig regulatorischer Einhalt geboten. Deshalb setzten Gerichte auf präventive Aufklärung und Handreichungen. Ein Beispiel hierfür stellen die Guidelines for Litigants on the Responsible Use of AI des Supreme Court of Victoria in Australien vom Mai 2024 dar.

Diese geben Anhaltspunkte zum allgemeinen Umgang mit künstlicher Intelligenz im Prozess, zum konkreten Einsatz durch die Parteien und zur Nutzung durch die Justiz. Herausgegriffen seien die folgenden Regelungen als Kern des Leitfadens:

Die Guidelines ordnen den Einsatz von KI in die allgemeinen Prozess- und Anwaltsverpflichtungen ein. So soll keine KI verwendet werden, deren Funktionsweise man nicht versteht oder die irreführende Ergebnisse erzeugt. Zudem ist vor allem im sensiblen Bereich des Prozessierens auf den Datenschutz und Verschwiegenheitspflichten zu achten. Insbesondere für Naturalparteien wird nahegelegt, die Nutzung von KI offenzulegen, damit das Gericht ein ehrliches Bild des juristischen Wissens des Laien erhält und nicht ein weitergehendes (durch KI erschaffenes) Verständnis voraussetzt.

Daneben erläutern die Guidelines mögliche Einsatzfelder für KI während des Prozesses. Insbesondere bei der Document Review oder beim Einsatz spezialisierter, juristischer KI zum (teilweisen) Entwurf von Dokumenten können sich Vorteile bieten. Dabei bleibt aber immer der Einreichende verantwortlich für den Inhalt des Dokuments, sollte es also zuvor akribisch prüfen. Für Prozessparteien wird nochmals die Funktionsweise von KI erläutert: das Ergebnis basiert nicht auf einem Gedankengang, sondern auf Wahrscheinlichkeiten. Deshalb ist bei sensiblen Dokumenten wie schriftlichen Zeugenaussagen oder eidesstattlichen Erklärungen, an deren Inkorrektheit scharfe Sanktionen geknüpft sein können, besondere Vorsicht notwendig. Auch auf Gefahren beim Einsatz von KI in der Justiz wird hingewiesen.

Die Hauptfrage im Zusammenhang von Prozessführung und KI ist, ob der Einsatz von KI durch die Parteien gegenüber dem Gericht offengelegt werden muss. Dazu geben die Guidelines des Supreme Court of Victoria keine eindeutige Stellungnahme ab. Einerseits wird die Empfehlung ausgesprochen, das Gericht über die Nutzung von KI zu informieren. Andererseits wird die „Duty of Candour“, also die Offenlegungs- und Prozessförderungspflicht von Anwälten, für anwendbar erklärt. Ob KI nun aber immer eine offenlegungspflichtige Tatsache ist, bleibt unklar. Anders ist das beispielsweise bereits in der Handreichung des Federal Court of Canada geregelt, der eine verpflichtende Offenlegungserklärung beim Einsatz von KI vorsieht.

Ob dies notwendig ist, beurteilen Gerichte und Anwälte seit jeher unterschiedlich: denn wenn der Prozessvertreter mit und ohne Einsatz von KI für den Gesamtinhalt seines Dokuments verantwortlich bleibt, dann spielt es keine Rolle, wie dieses entstanden ist. Es könnte sonst der Eindruck entstehen, dass KI generierte Dokumente weniger wert sind. Genau das ist im australischen Prozess DPP v Khan [2024] ACTSC 19, Rn. 42 ff. geschehen, in dem eine (schriftliche) Aussage mit KI generierten Bestandteilen als praktisch wertlos angesehen wurde. Dem möchten die drei Monate später verabschiedeten Guidelines Einhalt gebieten und stellen klar, dass der Einsatz von KI als solcher kein Kriterium ist, einem Dokument weniger Glaubwürdigkeit zuzusprechen.

Die Guidelines on the Responsible Use of AI in Litigation sind damit ein guter Schritt dahingehend, den Prozessparteien Einsatzmöglichkeiten und Risiken von KI zu verdeutlichen, bleiben an der wohl wichtigsten Stelle aber eher undeutlich. Ob man nun fordern soll, dass jeder Einsatz von KI offengelegt werden muss, ist eine rechtspolitische Entscheidung. Sie wird aber mit fortschreitendem Erfolg der KI-Tools eher weniger relevant werden, da es wohl kaum noch Schriftstücke geben wird, bei deren Erstellung KI überhaupt keine Rolle gespielt hat.

  Lese-Tipp

Faires KI-Prompting – Ein Leitfaden für Unternehmen

In der heutigen digitalen Welt wird generative KI immer wichtiger. Angesichts ihrer wachsenden Präsenz ist es entscheidend, die Chancen und Risiken dieser Technologie zu verstehen und Maßnahmen zu ergreifen, um Diskriminierung und Stereotypisierung zu vermeiden.

Das Mittelstand-Digital Zentrum Zukunftskultur hat einen Leitfaden entwickelt, der Unternehmen dabei unterstützt, generative KI verantwortungsvoll und ethisch zu nutzen. Dieser praxisnahe Leitfaden hilft, sowohl die positiven als auch die negativen Auswirkungen von generativer KI zu verstehen und bietet konkrete Strategien für einen fairen und vielfältigen Einsatz.

Besonders wertvoll ist er für Führungskräfte in kleinen und mittleren Unternehmen, die KI einsetzen möchten, ohne Diskriminierung und Stereotypisierung zu fördern. Mit klaren Empfehlungen und bewährten Verfahren dient dieser Leitfaden als unverzichtbarer Kompass für die erfolgreiche und faire Integration von KI in Ihrem Unternehmen.

Faires KI-Prompting – Ein Leitfaden für Unternehmen – Mittelstand-Digital Zentrum Zukunftskultur (digitalzentrum-zukunftskultur.de)

  Lese-Tipp

KI-Sprachmodelle im Jurastudium: Ein erster Leitfaden

Wie kann Künstliche Intelligenz das Jurastudium revolutionieren? Dieser Frage geht ein neuer Artikel in der Legal Tech Zeitschrift nach. Ehemalige Vorständin und recode Mitglied Alexandra Elena Müller und Dr. Benedikt M. Quarch haben mit „KI-Sprachmodelle im Jurastudium: Ein erster Leitfaden“ einen Beitrag verfasst, der die wachsende Bedeutung von Large Language Models (LLMs) und deren Potenzial im juristischen Studium beleuchtet.

Trotz des großen Nutzens, den LLMs bieten, wurde ihr Einsatz in der juristischen Ausbildung bisher kaum untersucht. Dieser Beitrag setzt hier an und gibt einen ersten Anstoß, wie die Möglichkeiten der KI sinnvoll genutzt werden können.

Eine spannende Lektüre erwartet all jene, die nicht nur an den theoretischen Grundlagen interessiert sind, sondern auch die konkrete Nutzung entdecken möchten.

Der Artikel ist in Heft 2 aus 2024 der LTZ zu finden (LTZ 2024, 159).

  Bewerbungs-Tipp

Fellowship bei der Digitalschmiede Bayern

Letzter Aufruf – bis zum 06. Juni 2024 könnt ihr euch noch für ein Fellowship bei der Digitalschmiede Bayern bewerben. Vom 5. August bis 31. Oktober 2024 könnt ihr beim diesjährigen Batch an Projekten in der Bayerischen Verwaltung mitwirken, wo ihr digitale Lösungen in interdisziplinären Teams entwickeln und die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung maßgeblich mitgestalten könnt. Weitere Infos unter: https://digitalschmiede.bayern/program

  Lese-Tipp

JurInsight: Engagement im Jura-Studium

Entdecke, wie du dein Jura-Studium durch außeruniversitäres Engagement bereichern kannst! Der Artikel auf JurInsight zeigt, warum sich Engagement lohnt, welche Fähigkeiten du dadurch erwirbst und wie du das passende Engagement findest. Spannende Möglichkeiten wie Moot Courts, studentische Rechtsberatungen und Vereine wie recode.law werden vorgestellt. Lass dich inspirieren und finde deinen Weg zu wertvollen Erfahrungen neben dem Studium.

Der Artikel ist hier zu finden.