Autor:in: Insa Ellerbroek und Alexander Andreas
Anlässlich der Bundestagswahl haben wir versucht, in den Programmen der Parteien die Antwort auf die Frage zu finden, wie digital unsere Justiz in der Zukunft aussehen könnte.
Wir als Verein setzen uns für Digitalisierung in der Rechtsbranche ein, so viel ist uns allen bekannt! Anlässlich der Bundestagswahl haben wir uns die Wahlprogramme der größten Parteien angeschaut und geguckt, wer das außer uns noch tut. Verglichen werden hier die Programme der bisherigen Parteien im Bundestag, CDU/CSU, SPD, FDP, BÜNDNIS ‘90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE., AfD, und die Newcomer-Partei Volt. Dabei zählt mehr als den Highscore zu knacken, wer wie oft das Wort digital in seinem Wahlprogramm nennen kann. Diesen Wettbewerb gewinnt übrigens die FDP mit durchschnittlich 1,46 Nennungen pro Seite, sucht doch selbst einmal nach dem Wort. Überrascht hat uns das jedenfalls nicht, denn für Christian Lindner ist “Digitalisierung [] ein persönliches Herzensanliegen”. Aber bevor wir hier frühzeitig eine Partei als Siegerin dieser Auswertung küren, schauen wir inhaltlich in die Programme. Als Serie von Blogposts werden wir das Thema näher betrachten. Diese Woche beginnen Insa und Alex die Reihe mit dem Thema “Digitalisierung und Justiz”.
Wir haben die Faxen dicke!
Da wir gerade von der FDP sprachen, greifen wir direkt einen Vorschlag von ihr auf: Unter der Nennung einer Vielzahl von Adjektiven, er soll effektiver, schneller, moderner, praxistauglicher, digitaler, kommunikativer werden – mehr hätten es kaum sein können – wird die Vorstellung der FDP vom zukünftigen Strafprozess beschrieben, S. 45 f. Das Wort digital ist wohl nur eins von vielen Adjektiven, die in den Text gestreut werden.
Aktuell sieht die Lage nämlich noch so aus: Nicht nur bei Gesundheitsämtern, sondern auch in der Justiz ist häufig noch das Fax das Kommunikationsmittel der Wahl, was erst kürzlich in der Schweiz dazu führte, dass eine Straftäterin frühzeitig entlassen werde musste. Das soll sich ändern. So sprechen sich FDP (S. 46), die Union (S. 122) und Grüne (S. 167) in ihren Wahlprogrammen für eine bessere technische Ausstattung und Modernisierung der Justiz aus. Bis wir eine papierlose und durchdigitalisierte Justiz haben, dürfte es noch etwas dauern – aber immerhin ein Anfang! Die übrigen Parteien außerhalb von “Jamaika” hüllen sich diesbezüglich leider in Schweigen.
A closer look: Zoom im Gerichtssaal?
Zudem sollen nach Wunsch der FDP die Aufzeichnung von Vernehmungen und Hauptverhandlungen in Bild und Ton bei Strafprozessen, sowie virtuelle Verhandlungen ermöglicht und die Durchsetzung kleinerer Forderungen erleichtert werden. Auch die CDU/CSU stimmt ihr zu, wenn es um einen digitalen Zugang zur Justiz geht (S. 122). Und um diesen Sermon auch noch einmal zu wiederholen, auch die Grünen fordern die Digitalisierung des Bereichs, Online-Verfahren für kleinere Rechtsstreitigkeiten, und ah, jetzt kommt etwas neues: ein einheitliches Programm für Polizei und Staatsanwaltschaft zur verbesserten Zusammenarbeit (S. 167).
Bei all der Einigkeit könnte man denken, dass die anderen Parteien auch etwas in ihrem Programm schreiben, doch fallen die SPD, die LINKE und AfD hier raus – dort wurde diese Idee nicht mit anderen Worten kopiert.
Uns bei recode.law ist dieses Thema natürlich auch schon länger bekannt: dieses Jahr wird am 07. und 08. Oktober 2021 die Digital Justice Conference stattfinden. Dort werden Vertreter:innen von Justiz, Rechtspflege, Legal Tech Unternehmen, Politik, Verwaltung und natürlich der juristische Nachwuchs unter anderem darüber reden, wie geringwertige Ansprüche aktuell durchgesetzt werden können oder wie eine Kooperation zwischen dem Bundesjustizministerium und Tech4Germany aussieht. Habt ihr Interesse? Dann findet ihr hier nähere Infos.
GzFvAiR, mfG euer Gesetzgeber
Anwältinnen als Unternehmerinnen bzw. Unternehmen als Anwälte?! Hinsichtlich einer Regulierung von Legal Tech-Unternehmen äußert sich allein die FDP in ihrem aktuellen Wahlkampfprogramm (S. 46). Sie spricht sich in typisch liberaler Manier dafür aus, die Beschränkungen des anwaltlichen Berufsrechts zu lockern. So sollen Erfolgshonorare ermöglicht werden und Kanzleien sollen stärker unternehmerisch tätig werden können. Jedoch soll auch für Legal Tech-Unternehmen ein klarer Rechtsrahmen geschaffen werden, welcher Anforderungen an die Qualität und Sachkunde der neuen Akteure auf dem Rechtsmarkt festlegt. Ein erster Aufschlag diesbezüglich ist bereits durch das kürzlich erlassene “Legal-Tech Gesetz” (welches offiziell auf den sperrigen Namen “Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt” hört – man könnte glatt versuchen es als GzFvAiR abzukürzen, wäre das nicht ähnlich unhandlich) erfolgt. Diese Lockerungen dürften den Liberalen wohl noch nicht weit genug gehen. recode.law hatte die gesamte Diskussion bereits früh (hier und dort) begleitet und bleibt weiter dran.
Das Recht auf binge watching ist unantastbar
Die neue Partei bei der Bundestagswahl, Volt, macht einen neuen Vorschlag: eine europäische Charta mit digitalen Grundrechten. Während hierzulande das Grundgesetz hochgehalten wird, wie bei Christen die Bibel, nimmt Volt das Konzept in ein neues Zeitalter. Volt verweist hier auf bestehende Vorschläge von Initiativen, diese werden zwar nicht genannt, aber bei einer Google-Suche findet sich der Entwurf einer einzigen Initiative, abrufbar unter digitalcharta.eu.
Die Charta enthält Grundrechte, die auf das Internet gemünzt sind: In Art. 3 Absatz 2 der Charta wird beispielsweise direkt darauf eingegangen, dass durch automatisierte Verfahren unter anderem keine Diskriminierung stattfinden darf, die Menschen von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließt. Ob und wie ein Bedarf für diese Charta neben der Charta der Grundrechte der europäischen Union und der Grundrechte im Grundgesetz besteht, müsste konkret verglichen werden. Nicht vergessen werden darf man, dass dieses Vorhaben die europäische Ebene betrifft, deren Gesetzgebungsprozess von europäischen Legislativorganen durchgeführt wird und gerade nicht vom Deutschen Bundestag, um dessen Wahl es hier ja eigentlich gehen soll. Ist es dann nicht etwas fehlplatziert oder will das Programm zeigen, dass die Sicht nicht auf das Nationale beschränkt sein sollte?
Grau ist alle Theorie
Welche Partei gewinnt nun das Rennen um eine digitalisierte Justiz? Erstmal handelt es sich ja nur um reine Wahlkampfversprechen – “entscheidend ist auf’m Platz”. Aber zumindest in der Vorbereitung bestätigt die FDP ihr Selbstbild als Digitalpartei. Sie hat die konkretesten Ideen in Sachen Justiz und Digitalisierung. Auch die Union und die Grünen haben das Thema auf dem Schirm, begnügen sich aber mit eher oberflächlichen Ausführungen. Der Newbie Volt bringt mit einer digital geprägten Grundrechtecharta insofern neuen Input in die Diskussion. Weniger Interesse scheint bei den übrigen Parteien zu bestehen. Bei AfD, SPD und Linken bleibt das Thema zumindest in den Wahlprogrammen weitestgehend unbesetzt. Diesen Parteien (und natürlich auch allen anderen) empfehlen wir dringend die Teilnahme an unserer Digital Justice Conference, um die offenen Flanken in Sachen Digitalisierung zu schließen!
Last Updated on 16. August 2021